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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Stunden verfließen, wie das Blut des Lammes tropft, und der Wind weht ein letztes Mal in der Wüste. Erinnere Dich meiner, Herr, wenn meine Seele befreit sein wird! Erinnere Dich, daß ich nie an den Flügeln der Taube genagt habe und daß ich mich in Deinem Licht gehalten habe! Erinnere Dich, daß ich Augen und Körper gereinigt habe!«
    Das Feuer knisterte. Die Insekten tanzten in den Flammen ihren Totentanz. Eine Fledermaus schlug ganz nahe mit den Flügeln.
    »Das Sühneopfer ist nah, Dein Bote ist gekommen, und seine Füße eilen auf Deinem Weg, seine Stimme verkündet Deine Ankunft. Meine Stimme steigt nicht mehr auf, die Wüste ist erfüllt von Deinem Atem.«
    Er senkte den Kopf. Einer der Soldaten fragte ihn, was ein Sühneopfer sei. Das letzte Feuer, erwiderte er. Warum es ein Feuer gebe? fragte ein anderer. Weil die Ungerechtigkeit der Menschen die Welt in einen wertlosen Klumpen verwandelt habe, erklärte er. Und alle müßten sterben? Alle. Aber wer sei denn der Bote, der angekommen sein soll? Jesus, sagte er. Wer sei Jesus? Der Sohn Gottes, antwortete er. Wo sei dieser Mann? In Palästina. Aber wie wisse er, Jokanaan, daß er der Sohn Gottes sei? Weil es in den Büchern stehe; kannten sie denn nicht die Worte Samuels: »Ich werde sein Vater sein und er mein Sohn?« Was würde dieser Jesus tun? Er würde das Feuer legen. Und nach dem Feuer? Ob sie schon einmal die Feuerstelle eines Schmiedes gesehen hätten? fragte er sie. Obenauf funkelte das reine Metall, alles Unreine verbrannte. Das Metall sei das Göttliche, und der Rest löse sich in ewiger Düsternis auf.
    Sie dachten über diese Worte nach, dann gähnte einer, die anderen taten es ihm gleich. Sie tranken den Wein aus, legten sich hin und schnarchten. Der Wachhabende sah Jokanaan an und murmelte: »Ich würde dich gerne befreien. Aber ich kann nicht. Verzeih mir.« Jokanaan lächelte. »Am Tage deines Todes komme ich zu dir, ich werde deine Seele zum Herrn begleiten, und ich werde Ihn für dich um Verzeihung bitten.«
    Vier Tage später entdeckte er, als er den Kopf wandte, einen metallischen Schimmer, und er erkannte das Tote Meer. Zu dieser Stunde arbeiteten seine früheren Gefährten auf dem Feld. Fliegen surrten hinter den gekalkten Wänden, und Federn kratzten auf Pergament. Schreiber fügten Wort an Wort... Plötzlich überfielen ihn Zweifel: Warum schreiben? Würde das Feuer nicht alles Pergament und alle Worte verschlingen? Glaubten sie hier unten, daß ihre Buchstaben die Vergöttlichung des Wortes erleben würden? Oder vielleicht glaubten sie gar nicht wirklich an das Ende der Welt! War es möglich, daß lange nach seinem Tod die Ernte in der Sonne golden glänzen, daß die Traube Saft geben und daß die Fische noch in den Flüssen springen würden? Herr, sag mir, daß die Welt mich nicht überleben wird! Hatte man ihn verraten? Hatte er womöglich alles versäumt — heißer Atem, der sich in der Liebe vereint, das süße Wachsen seines Fleisches im Kelch der vereinten Hände und der Gesang des Blutes in den Adern, wenn Sonne und Seele im Zenit stehen? Warum schrieben denn diese Männer?
    Sie erreichten den Hügel von Machärus. Auf dem Gipfel erhob sich der Palast des Herodes. Die Pferde trabten den Serpentinenweg hinauf. Bald sah Jokanaan Qumran, bald sah er es wieder nicht. Dort unten, jenseits der toten Wasser, setzten die Schreiber ihr Tagewerk fort. »Warum?« schrie er aus Leibeskräften. Sein Schrei flog in die Wüste und hallte irr zurück, verwandelt in einen unmenschlichen Laut: »Eliiii...« Die Soldaten waren an seine Selbstgespräche schon gewöhnt, sie drehten sich nicht einmal um.
    Als sie ihn einsperrten, hatte die Sonne ihn betäubt. Die Zelle war groß und kühl, denn die Gefängnisse lagen im Erdgeschoß eines Turms der Festung, die den Palast umgab. Eine leichte Brise kam durch eine quadratische Öffnung in der gewölbten Decke und durch ein kleines Fenster in der eine Elle dicken Wand hindurch. Beide waren mit einem Eisenkreuz versperrt. Von oben stahl sich ein Sonnenstrahl herein, dort mußte ein Innenhof sein. Jetzt beugten sich auch Soldaten darüber, um den neuen Gefangenen zu sehen. Jokanaan achtete nicht auf sie, er sah nur das Gesicht des Wärters durch das Guckloch in der Tür.
    »Schreibt man für das Feuer?« rief er.
    »Zuviel Sonne, was?« fragte der Wärter.
    »Gib ihm etwas Raute 9 , oder er fängt in seinem Loch an zu spinnen, bevor Herodes ihn gesehen hat!« schrie ein Soldat von oben.
    Etwas

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