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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Suche zurück. Die Fragen und Hoffnungen hatten sich in die Nacht verirrt. Beide Männer waren müde und zitterten vor Kälte. Natanael stand auf und trampelte mit den Füßen. Auch Thomas erhob sich und drückte das Wasser aus seinem durchnäßten Bart; er verließ seinen Zufluchtsort und überquerte die Straße in weiten Sprüngen, dann ging er zum Haus von Simon Petrus. Natanael folgte ihm widerstrebend, mit unsicherem Schritt, ein vom Wind gepeitschter, gebrechlicher, schmutziger Schatten, sein Gesicht war naß und glänzte in dem blassen Licht, sein Blick wirkte verloren.
    Sieben Tage waren vergangen. Simon Petrus und Andreas, die sich selbst überlassen waren, hatten angefangen, die Galiläer am Ufer des Jordan zu taufen, nicht weit von Chorazin, weil sie sich für immer verlassen glaubten und sich nicht ihren fehlgeschlagenen Hoffnungen hingeben wollten, weil sie sich auch dachten, daß man nirgendwo anders als am Jordan taufen konnte. Abwesend und langsam führten sie die Zeremonie aus und fragten sich dabei, wie viele Menschen sie noch taufen sollten, wenn ihr Meister nicht wiederkam. Eines Morgens bemerkten sie, daß einige Gaffer, Eltern und Freunde der Neugetauften, den Kopf alle in dieselbe Richtung drehten. Dort stand Jesus, in einem Tamariskengebüsch, und beobachtete sie. War da ein ironisches Lächeln? Oder war es ein zärtliches? Sie überließen ihre Bittsteller der Erbsünde und liefen wie die Kinder ans Ufer, bis sie triefend naß vor ihm standen.
    »Meister!« blökten sie einstimmig. »Wo warst du?« Beide streckten ihm die Hand entgegen.
    »In den Bergen«, antwortete er immer noch mit demselben Lächeln. Da er nicht oft lächelte, erschraken sie. Hatte er etwa berauschende Pilze gegessen?
    »Wo sind die anderen?« fragte er.
    Thomas war vermutlich mit Natanael in Kafarnaum geblieben, Johannes war mit Jakobus irgendwohin aufgebrochen... Verlegen standen sie vor ihm.
    Er nickte. »Gehen wir nach Kafarnaum zurück«, meinte er.
    Im Handumdrehen tauften sie die noch Wartenden, während die Neugetauften die Augen weit aufsperrten — offensichtlich war ihnen die Feierlichkeit der Zeremonie gleichgültig — und fragten: Aber dieser Mann dort, das war doch Jesus, oder, das war doch der Messias, nicht wahr? Und warum redete er nicht mit ihnen? Jesus hörte sie und ging zu ihnen; es waren zwei Greise in weißem Leinen, drei zitternde Jugendliche und ein Einbeiniger. Sie trockneten sich gerade ungeschickt ab.
    »Die Sünde, die in eurem Fleisch steckt seit dem Beginn, ist abgewaschen«, sagte er. »Jetzt haltet eure Seelen rein. Es ist nicht wichtig, ob eure Hände vom Dreck, vom Mist oder sogar vom Kontakt mit Frauen, die ihre Regel haben, oder vom Berühren einer Leiche beschmutzt sind. Was zählt, ist, daß ihr nie vergeßt, daß eure Seelen Gott gehören.«
    »Wem hat meine Seele gehört, bevor deine Männer mich tauften?« fragte ein Greis und blinzelte.
    »Sie hätte Gott gehören sollen, der sie geschaffen hat. Du glaubtest jedoch, daß Rezitationen und Opfergaben sie reinigen könnten, was aber nicht der Fall war. Deine Seele gehört also keinem. Erinnere dich, daß eine Seele nie durch Worte oder das einfache Vollziehen von Ritualen gereinigt wird.«
    »Aber ist das nicht auch ein Ritual?« beharrte der Greis.
    »In den Augen Gottes rein zu sein steht über allen Ritualen«, antwortete Jesus.
    Er machte Simon Petrus und Andreas ein Zeichen, sich endlich auf den Weg zu machen. Die beiden Brüder zogen sich eilig an, und die drei gingen nach Kafarnaum zurück. Simon Petrus hatte eines der sechs Maultiere behalten, die sie bei ihren Pilgerfahrten geschenkt bekommen hatten, aber weder er noch Andreas wagten es, das Reittier Jesus anzubieten, so sehr verwirrte sie das kühle Verhalten ihres Herrn. Und je weiter sie gingen, desto mehr ängstigte sie Jesus’ Stummheit. Also saß keiner von den dreien auf, Andreas zog das Maultier hinterher.
    »Wie viele Menschen habt ihr getauft, seit ich euch verlassen habe?« fragte Jesus nach langer Zeit.
    Andreas erwiderte, daß er und sein Bruder ungefähr zweihundert Menschen getauft hätten. Sollten sie ganz Palästina taufen?
    »Ihr werdet in Jerusalem nicht viele taufen«, antwortete Jesus.
    »Wir gehen also von Kafarnaum nach Jerusalem?« fragte Simon Petras.
    »Wohin sonst?«
    Als sie auf der Straße waren, die am Ufer entlangführte, verbreitete sich die Nachricht von Jesus’ Rückkehr wie ein Lauffeuer. Im großen Hafen folgte ihnen schon eine kleine

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