Ein Mensch namens Jesus
Geist die Wahrheit erahnen.«
»Die andere Wahrheit«, murmelte Thomas.
»Meine Geduld erschöpft sich«, fuhr Jesus fort. »Ihr seid nicht klarsichtiger als die, die ihr angeblich bekämpft. Ihr seht die Rinde der Dinge, aber nicht ihr Wesen. Was glaubt ihr, wer ich bin? Ein Bandenführer? Oder ein Magier? Betet ihr? Ich zweifle daran. Ihr rezitiert Worte. Wenn ihr betet, müssen eure Seelen sich Gott öffnen. Ihr wollt, daß ich der Messias bin. Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet. Der Messias wird am Ende aller Dinge kommen, wie die Flamme, die sich aus trockenem Holz erhebt. Dann wird der Sohn des Menschen gereinigt sein.«
Er verließ das Haus und ging in die Nacht hinaus. Keiner wagte, ihm zu folgen. Schweigend blieben sie zurück. Auch sie beteten nun, im stillen.
XIII.
»Schreibt man für das Feuer?«
Sie kamen zu zehnt angestürmt, zu Pferde, sie leuchteten und glitzerten unter der Sonne und im gelben Staub; ihre Rüstungen glänzten, ihre Pferde schäumten, das Fell der Tiere schimmerte, alles verschmolz in einem einzigen Gewirr aus Licht und Lärm, zehn Mitglieder von Herodes’ eigener Garde. Jokanaan sah sie zuerst in den Augen seiner Schüler, weil er ihnen den Rücken zuwandte. Zu spät! Er hätte niemals den Fehler machen dürfen, das samaritische Ufer des Jordan zu verlassen und an das peräische zu gehen. Die Wachen des Prokurators von Samarien hatten sich kaum um ihn gekümmert, er war nur ein Jude mehr, der in der Wüste herumschrie. Aber nein, er hatte ja hinübergehen müssen, weil es auf der anderen Seite zu viele Menschen gab, die ihn sehen und von ihm getauft werden wollten, und es gab zu wenig Schiffe und keine Brücke. Er war also dem in die Hände gefallen, den er so oft und so heftig beschimpft hatte, Herodes Antipas, Tetrarch von Galiläa und Peräa. Die Garde hatte ihm wohl aufgelauert. Er dachte daran, ins Wasser zu springen, aber dann wäre er ertrunken, denn er war schwach, und es gab starke Strömungen in diesem Fluß.
Sie saßen ab.
»Jokanaan, Sohn des Zacharias?« fragten sie.
»Der bin ich!« beeilte sich ein Schüler zu antworten.
Jokanaan aber zuckte mit den Achseln und sagte, daß er es sei. »Wir sind gekommen, um dich auf Befehl des Tetrarchen zu verhaften, weil du ihn unzählige Male verleumdet hast.«
Er hatte einen fremden Akzent, war vermutlich ein Syrier oder ein Idumäer. Jokanaan stand auf. Die Schüler umringten die Reiter und versuchten bedrohlich zu wirken. Das schien die Soldaten aber nicht zu beeindrucken. Sie banden Jokanaan die Hände mit einem Seil zusammen und zogen ihre Schwerter. Die Schüler hatten keine Waffen.
»Du verhaftest einen heiligen Mann«, sagte einer.
»Wir haben unsere Befehle«, meinte der Syrier oder Idumäer und setzte den Fuß in den Steigbügel.
Zwei aus der Garde hoben Jokanaan hoch und setzten ihn in den Sattel hinter den, der ihr Anführer zu sein schien, doch sie setzten ihn verkehrt herum, als Zeichen seiner Unwürdigkeit. Die Schüler sahen ihrem Herrn verblüfft nach, als die Soldaten mit ihm davonstoben. »Wohin bringt ihr mich?« fragte Jokanaan den Mann, der hinter dem Anführer ritt, und dem er also ins Gesicht sehen konnte.
»Nach Machärus«, erwiderte der andere.
Jokanaan glaubte es zunächst nicht. Machärus! Fast am Toten Meer, schräg gegenüber von Qumran! Das Ende gegenüber vom Anfang! Das war ein Scherz. Aber sie ritten nach Süden. Bei der ersten Rast am Abend banden sie ihm die Hände los. Sie halfen ihm beim Absitzen, als sei er eine Frau. Sie versuchten, ihm zu essen zu geben, aber Wildbret, nein! Er nahm nur ihr Sesambrot an. Das schlimmste war es, ihre Gespräche anhören zu müssen, die sich um Garnisonsintrigen, Vergleiche zwischen einem Posten und einem anderen, zwischen einem Bordell und einem anderen und um die Besoldung in den verschiedenen Provinzen drehten. Sie hofften auf einen Posten in der Dekapolis. Er hatte vorher noch nie solche Gespräche gehört.
»Wo bringt ihr mich hin?« fragte er noch einmal.
»Ich habe es dir gesagt, Mann, nach Machärus. Weißt du nicht, wo das ist? Am Toten Meer.«
»Ich weiß«, sagte er müde.
Schakale heulten mit haßerfüllter Stimme, die Stimme Lilits war das. Er weinte. »Herr!« schrie er in die Nacht. »Du weißt, daß meine Stimme Dir gehört! Und doch bete ich heute abend für mich selbst! Ich rufe Deine Hilfe an!«
Die Soldaten verstummten, es war ihnen unbehaglich zumute.
»Die Axt sitzt in der Wurzel des Baumes, die
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