Ein Mensch namens Jesus
versuchten, die bereits ins Gesicht gezeichnete Raffinesse zu leugnen. Dies war Herodias noch einmal, wie sie gewesen war in ihren jungen Jahren, bevor ihre Machtgier, die der schwächliche Philippus nicht zu bändigen vermocht hatte, sie, wie Jokanaan sagte, in Herodes’ pupurgesäumte Laken gelockt hatte, Herodias, bevor der Perlmuttschimmer ihrer Haut sich unaufhaltsam getrübt und den matten, stumpfen Glanz von Alabaster angenommen hatte, der nur noch hie und da ein Leuchten, die letzten Strahlen der Jugend, durchscheinen ließ.
»Ah!« seufzte Herodes nur, hin und her gerissen zwischen seiner Begierde und der brutalen Erkenntnis, daß er hier einer zugleich naiven und doch so schlau ausgeklügelten Intrige Herodias’ aufgesessen war: Seine Frau ließ vor ihm das Bild ihrer eigenen Jugend erstehen und rechtfertigte so ihre Untreue! Herodias peitschte die animalischen Triebe ihres Gatten, um ihn für sich zurückzugewinnen, denn Salome war unerreichbar.
Aber war sie das wirklich?
Wenn doch nur Jokanaan Salome tanzen sehen könnte! Dann würde er schon verstehen! Vielleicht würde der Asket von seinen Schmähungen absehen, wenn sich bei ihrem Anblick Verwirrung und ein Anflug von Begierde in ihm einschlich. Er selbst müßte ihn dann nicht mehr töten lassen, und Herodias hätte sich in ihren selbstgesponnenen Netzen verfangen! Er lächelte vor Vergnügen bei dieser Vorstellung und wandte sich Herodias zu, die sein Lächeln mit übertrieben verliebter Verschwörermiene erwiderte. Herodes kicherte glucksend.
»Geh sofort Jokanaan holen!« befahl er Manassah.
Der Höfling sah seinen Herrn einen Augenblick an, lächelte dann und eilte davon.
Arme Herodias, soviel vergebliche Liebesmüh! dachte Herodes. Nein, ich begehre Salome! Dann jedoch wurde er wieder verdrießlich, denn ihm fiel ein, daß Jokanaan, sobald er den geringsten Verdacht schöpfte, er, der Tetrarch habe vor, einen Inzest an den anderen zu reihen, erneut seine Verwünschungen ausstoßen würde. Wenn sein Plan scheiterte, dann mußte er Jokanaan wohl oder übel schleunigst hinrichten lassen.
Mittlerweile warf Salome Herodes aufreizende Blicke zu, wie man ihr sicherlich aufgetragen hatte. Und dabei war es erst zwei Jahre her, daß die kleine Göre, die sie damals noch war, ihn um goldene Kinkerlitzchen angebettelt hatte!
Er spielte den Gleichgültigen, ließ seinen Blick über die hellbraunen Schenkel gleiten und auf der Falte verweilen, die das bestickte Band in ihre Scham grub, dann auf dem Nabel und schließlich auf den granatapfelförmigen Brüsten, die eine Perlenkette zierte...
Manassah kehrte zurück, hinter ihm Jokanaan in Begleitung von zwei Wachen, und Herodes zwang seine Gedanken wieder in nüchternere Bahnen.
Die Vertreter des Sanhedrin sperrten den Mund auf und brachten ihn offenbar nur unter größter Anstrengung wieder zu. Ein Raunen ging durch die Versammelten, und Salome — ebenso unfähig wie die anderen, ihr Erstaunen zu verbergen — hielt im Tanz inne.
Der Tetrarch wandte sich, wiederum lächelnd, um und begegnete dem starren Blick von Herodias, die die Hand ihrer Amme krampfhaft drückte.
»Tanze, Salome!« befahl Herodes.
Aber sie reagierte nicht. Sie betrachtete diesen Mann mit seinem zerzausten Haar, den man nach zehnmonatiger Gefangenschaft aus seinem Kerker hervorgeholt hatte, um ihn mitten in ein Vergnügungsspektakel zu werfen, das von lieblichen und würzigen Düften durchzogen und von schmachtender Musik untermalt war, diesen Mann, der nun unvermittelt einem jungen, nackten Körper gegenübergestellt wurde.
Nachdenklich musterte Salome die mageren Gliedmaßen, dann Jokanaans Gesicht, dieses von der selbstzerstörerischen Liebe zu Gott und der wilden Verweigerung vor der Schöpfung gezeichnete Gesicht, ein Widerspruch in sich, da es schwer und zerbrechlich zugleich wirkte, wie jene Wüstenfelsen, die von schmalen, spitzen Steinsäulen getragen werden.
Sie betrachtete den Mund, in den sich alles Leben und Blut des Asketen geflüchtet zu haben schien, seine vollen, sinnlich geformten Lippen, die sich durch die plötzliche Anstrengung eines Ganges an der frischen Luft gerötet hatten, sie musterte ohne Scham die dunklen Brustwarzen auf dem ausgemergelten, unbehaarten Oberkörper, deutete in Richtung der Schulter des Asketen und erschauerte. Auch Jokanaan starrte sie an.
»Tanze, Salome!« drängte Herodes. Ihn beschlich das unbestimmte Vorgefühl, daß irgend etwas Unvorhergesehenes seine Pläne durchkreuzen
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