Ein Mensch namens Jesus
angereist) teilten sich in zwei Gruppen zur Linken und zur Rechten der beiden vom Sanhedrin abgesandten Priester.
Ein Kammerherr läutete den denkwürdigen Tag ein. Ein Dichter trug auf griechisch Verse vor über die Vereinigung der himmlischen Gnade und der irdischen Macht, die im verstorbenen Potentaten zusammengefunden hätten, und feierte die Verkörperung des Geistes Israels in jenem Mann, der den Tempel Salomos wiedererbaut hatte. Ein anderer zog auf hebräisch eine Parallele zwischen Herodes und Salomo, wobei er dem Himmel dafür dankte, daß die fruchtbare Familie des Großen Wiedererbauers den Nachkommen der Zwölf Stämme erlaubte, sich an der weitervererbten Sonne der Weisheit zu ergötzen.
Der erste Abgesandte des Hohenpriesters überbrachte dem Tetrarchen die Segenswünsche des Hannas samt Sanhedrin. Der zweite wünschte dem fürstlichen Paar Glück und ein langes Leben im Namen der religiösen Führer der Tetrarchie.
Nach Beendigung der Reden erscholl ein Beckenschlag, und die Höflinge beeilten sich, die Hände des Königspaares zu küssen. Dann wurde Wein ausgeschenkt.
Ein zweites Mal wurden die Zimbeln geschlagen, um den Beginn der Lustbarkeiten anzukündigen. Beschwingte Musik ertönte, die Tänzerinnen erschienen und stellten sich in zwei Reihen auf. Dann betrat eine einzelne Tänzerin den Raum, von Kopf bis Fuß in einen Seidenschleier gehüllt, wie Herodes noch nie einen gesehen hatte. Es war ein in allen Farben schillerndes, fließendes Gewebe, das sich bald den schlanken Formen anschmiegte, bald wieder aufflatterte, als sei es die schimmernde Ausstrahlung des Körpers selbst. Die in goldenen Sandalen steckenden Füße glitten, begleitet von anhaltendem Flötenton, langsam über den Boden, während die kaum vom Körper abgespreizten Arme den wundersamen Schleier in ständiger Schwingung hielten. Plötzlich blieb die Tänzerin stehen und hob die Arme, so daß man ihre mädchenhaften Brüste sehen konnte. Dann wirbelte sie auf einem Fuß und verwandelte sich so in eine kalt züngelnde Flamme. Die Abgesandten des Hohen Rates, die ihre Augen zunächst weit aufgesperrt hatten, runzelten mißbilligend die Stirn.
Die Tänzerin nahm nun wieder ihre schlängelnden Bewegungen auf, drehte sich dabei langsam um sich selbst und hob allmählich den Schleier, der sie wie zuvor bald umhüllte, bald ihre Formen nachzeichnete. Zuerst erschienen ihre nackten Waden, dann ihre Beine und Hüften, daraufhin bewegte sie sich kreiselnd, der Schleier verwandelte sich in einen schimmernden Reif und enthüllte für den Bruchteil einer Sekunde ihren ganzen Oberkörper. Herodes unterdrückte einen Ausruf der Bewunderung. Die Tänzerin, die ihrer Gestalt nach dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein mochte, hatte ihre nackten Brüste gezeigt und trug auch sonst nichts unter dem Schleier als ein schmales, besticktes und mit Fransen besetztes Seidenband um ihre Hüften.
Die Mitglieder des Sanhedrins hüstelten.
Sicherlich waren die anderen Tänzerinnen nicht weniger verführerisch, aber diese hier trug neben der aufreizenden und lockenden Zweideutigkeit ihrer Jugend eine geradezu königliche Selbstsicherheit zur Schau. Sie war nicht nur eine Tänzerin, sondern eine sich ihrer Macht bereits vollkommen bewußte Frau.
Herodes spürte die Begierde in sich wie einen scharfen, schmerzhaften Stich ins Herz. Diese hier war nicht einer jener Zugvögel, die er mühelos in sein Zimmer locken konnte, nein, diese hier war ein Raubvogel. Um sie zu verführen, bedurfte es viel mehr als seines Ansehens oder seiner Reichtümer; dazu hätte er das sein müssen, was er nicht mehr war.
Die Augen der Amme funkelten. Herodias’ Gesicht versteinerte sich. Aber noch niemand hatte das Gesicht dieser leibhaftigen Versuchung
gesehen.
»Wer ist sie?« fragte Herodes Manassah hinter vorgehaltener Hand. Aber der Höfling wußte es auch nicht.
Noch einmal drehte sich der Schleier, und die Tänzerin lüftete ihn mit ihrem erhobenen Arm Stück für Stück, bis ihr Gesicht vollkommen enthüllt war. Herodes saß wie vom Blitz getroffen. Es war Salome, die gemeinsame Tochter von Herodias und Philippus, schlicht und einfach seine Nichte. Er hatte die zugleich fremden und doch so vertrauten Gesichtszüge erkannt, die Nase, die sich bald herausfordernd über den unmerklich abgespreizten Nasenflügeln krümmen würde, die stolz geschwungenen, dem rätselhaften Schatten der Mundwinkel entspringenden Lippen und die kalten Mandelaugen, die vergeblich
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