Ein Mensch namens Jesus
könnte.
Mit unendlich traurigem Gesicht wandte sie sich dem Manne zu, der gleichzeitig ihr Onkel und Stiefvater war. Und Herodes begriff, zutiefst bestürzt, was sie dachte. Sie war dem Mann begegnet, dessen Kopf auf dem Spiel stand, und — nein! dachte Herodes verzweifelt, nein! — hatte sich in ihn verliebt! Er hörte ein Geräusch hinter sich und sah sich um.
Herodias war aufgesprungen. Wie häßlich sie plötzlich war in ihrer Angst!
»Tanze, Salome!« befahl nun auch die Kupplerin und Mutter.
Das Mädchen zögerte. Schließlich kehrte es dem Tetrarchenpaar den Rücken zu und tanzte für Jokanaan. Für ihn allein entfaltete Salome nun ihre verführerischen Reize, Samt und Seide ihres Körpers, für ihn, den stinkenden, mit einem Kamelfell bekleideten Asketen, der sie ungläubig betrachtete. Herodias trat einen Schritt vor, um vom Podest herabzusteigen, aber Herodes hielt sie mit heiserem Befehl zurück. Ihrer beider Pläne waren gescheitert.
Die Musiker, als hätten sie die Lage genau erfaßt, hatten ihre Begleitung verändert. Das Spiel der Flöte war keine Musik mehr, sondern ein Pinsel, der Salomes Körperkonturen nachzog. Zwei Tamburine spiegelten in ihren spannungsgeladenen syrischen Auftaktrhythmen die beklemmende Atmosphäre unter den Zuschauern wider, unterstützt von den Zimbeln, deren eherner Schlag jedesmal erscholl, wenn die Tänzerin die Arme hob, und weiteren Tamburinen, die den Beckenschlag durch dramatische, von Klirren unterstrichene Trommelwirbel fortsetzen. Einmal gab sie sich wollüstigen Schnörkeln hin, dann wieder brach sie unvermutet ab und verfiel in einen neuen Rhythmus — die Musik hatte sich in einen Chor verwandelt, der die Handlung für die Zuschauer kommentierte. Und sie spornte Salome an, die ihren Körper geradezu akrobatisch wand und bog und ihre Beine viel höher hob, als sie es für Herodes getan hätte. Auch die Ekstase simulierte sie für Jokanaan mit viel größerer Hingabe als für Herodes. Die Lüge offenbarte allen die Wahrheit: Sie war von Jokanaan fasziniert.
Ohne ihr Wissen hatte sie um seinen Kopf getanzt, und jetzt tanzte sie für seinen ganzen Körper.
Und auch Jokanaan war fasziniert. Er zitterte. Wie gebannt blickte er Salome an, mit halb offenem Mund und feuchten Augen, er betrachtete das für den Tod tanzende Leben. Dann plötzlich stieß er einen langen Schrei aus, bis seine Stimme brach.
Die Musik erstarb. Salome hörte auf zu tanzen, und die Umstehenden hielten den Atem an.
Salome ging zu ihm und flüsterte ihm Worte zu, die niemand außer ihm hören konnte.
Und auch einzig und allein Salome vernahm seine Antwort. Wie angewurzelt stand sie vor ihm.
Herodes erhob sich halb von seinem Thron. In den Gesichtern der sanhedrinischen Abgeordneten las er helles Entsetzen über einen derartigen Skandal.
»Manassah!« befahl Herodes mit erstickter Stimme. »Dieser Mann ist auf der Stelle zu enthaupten!«
Man zerrte Jokanaan nach draußen auf den Vorplatz. Wenige Augenblicke später rollte sein Haupt.
Salome war die erste, die kam, um ihn sich anzusehen. Lange blieb sie dort und betrachtete im Fackelschein das Gesicht des Mannes, der ihre erste Liebe gewesen war.
XVIII.
Der Sturm
Ihre Stimmen summten im Morgengrauen wie bei einer gedämpft vorgetragenen Litanei. Ihre Worte glichen eher einem Gebet als einem Bericht über das Geschehene, und wären nicht ab und zu unterdrückte Schluchzer zu hören gewesen, hätte man sie für Nazarener gehalten, die gerade ihr Morgengebet sprachen.
»... Wir haben also seinen Kopf von dort, wo er lag, aufgehoben, da die Wachen ihn nicht anzurühren wagten, und haben seine Augen zugedrückt und das Blut abgewaschen. Dann haben wir den Körper gewaschen und vom Blut gereinigt, das Haupt darangefügt und den Leichnam in ein Leintuch gebettet, das wir vorher mit Myrrhe und Aloe bestreut hatten, wir falteten es und nähten es zu...«
Ein Kind kam fröhlich aus einem Nachbarhaus getanzt und sang dabei ein Liedchen vor sich hin. Es erblickte Jesus, der in Gesellschaft einiger fremder Männer auf der Türschwelle des Hauses von Simon Petrus stand, und lächelte ihm zu. Jesus erwiderte das Lächeln mit einem ernsten Kopfnicken, und das Kind hüpfte auf einem Bein davon.
»...Wir haben den Leichnam auf den Rücken eines Maulesels geladen und ihn in der Wüste, unweit von Qumran, begraben.«
Die Frau des Simon Petrus verließ das Haus durch die Tür zum Garten und leerte eine Schüssel Schmutzwasser in den
Weitere Kostenlose Bücher