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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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seine Männer, um sie zum Sprechen zu bewegen, erhielt jedoch keine anderen Antworten als stotternd hervorgebrachte Ungereimtheiten oder Fingerzeige in Richtung Kerker. Er begab sich also in den Raum und betrachtete lange den unter dem Gitter schwebenden Körper, diesen im Nichts ertrinkenden Mann. Dann nahm er einen Krug und übergoß Jokanaan mit Wasser. Der Gefangene öffnete die Augen, sank aber nicht hinab. Sein Blick richtete sich auf den Hauptmann. Dieser sah zu, wie das Wasser über die braune Haut lief und sieben bis acht Ellen weiter unten auf den Boden plätscherte. »Gott stehe uns bei!« murmelte der altgediente Soldat.
    Die Wachen lagen vor der Türe auf den Knien und beteten. Manassah und Joschua eilten, nachdem man sie benachrichtigt hatte, herbei, um das Phänomen mit eigenen Augen zu sehen. Joschua erbrach sich draußen. Manassah war mit einemmal wie in Schweiß gebadet.
    Es war der Tag vor den Feierlichkeiten zum Todestag von Herodes dem Großen. Kurz nach der Mittagsstunde war Jokanaan wieder auf dem Boden seiner Zelle. Er schlief bis zum Abend.
    In der klirrenden Kälte des darauffolgenden Morgens kamen zwei Boten über die Terrasse geschlichen. Die Wachposten erkannten die zwei Jünger Jokanaans und nickten ihnen unauffällig zu. Da die Wachen das vereinbarte Geld nicht annehmen wollten, waren die beiden beunruhigt und fürchteten das Schlimmste; sie rannten zur Wachstube, wurden aber anstandslos eingelassen und schauten durch das Gitter.
    Jokanaan hockte wie gewöhnlich am Boden, den Blick auf das erste Licht der Morgendämmerung gerichtet, das durch das kleine Fenster ihm gegenüber in den Kerker drang. Er hob den Kopf. »Das ist mein letzter Morgen«, sagte er. »Habt ihr Jesus gesehen?«
    »Wir haben ihn gesehen. Und wir haben ihn gefragt, wie du uns aufgetragen hast: >Bist du derjenige, der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?< Er hat geantwortet: >Berichtet Jokanaan, was ihr seht und hört: Blinde werden sehend, Krüppel gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote kehren ins Leben zurück, Arme vernehmen die frohe Botschaft — glücklich ist der, für den ich kein Stein des Anstoßes bin.< Wir haben gesehen und gehört, was er gesagt hat, aber...«
    »Was aber?«
    »Er ist noch immer von den gleichen Leuten umgeben, Meister. Ist er wirklich der, auf den wir warten?«
    »Es gibt jetzt nur mehr ihn«, antwortete Jokanaan. »Ich werde in wenigen Stunden von dieser Welt gehen.«
    »Warum können wir dich nicht hier herausholen? Wir haben genug Geld für die Wachen bei uns. Warum kommt er dich nicht befreien?«
    »Ich bin nicht der Messias, wie ich schon gesagt habe. Sein Stern steigt in dem Maße, wie der meine fällt.«
    Die Jünger brachen in Tränen aus.
    »Geht jetzt«, befahl Jokanaan, »von nun an ist Jesus euer Meister.« Als sie gingen, wurde die Wache gerade abgelöst. Auch die neuen Wachposten kannten sie bereits und nickten ihnen zu. Die ersten Sonnenstrahlen spitzten hervor und gaben der Welt allmählich ihre Farben zurück.
    Um die Mittagszeit lag brütende Hitze über dem Land. Die Musiker hatten ihr Spiel wiederaufgenommen. Die Klänge der Kitharas und Zimbeln, der Flöten und Triangeln schwebten die gleißenden Hänge von Machärus hinab und stießen auf Felsgestein, das sie unter vielstimmigem, mißtönendem Echo an die Ufer des Amon und die Moabitischen Berge weiterleitete.
     
    Die Sonne ging unter, und wieder fand eine Wachablösung statt. In der Festung begann der Wein zu fließen, im Speisesaal der gemeinen Soldaten ebenso wie in den kleinen Gemächern der Höflinge und im Prunksaal des Herodes. Auch heute kühlten sich die Tänzerinnen wieder ihre zarte Füße auf dem Marmor- und Mosaikboden rund um das Podest, auf dem Herodes’ und Herodias’ Throne standen. In Begleitung von Manassah, Joschua und einigen Höflingen niedereren Ranges, betrat der Tetrarch den Saal. Dann erschien Herodias mit stolz erhobenem, elfenbeinweiß geschminktem Gesicht und einem gold- und perlenbestickten Purpurmantel um die Schultern; ein Netz aus granaten- und perlenbesetzten Goldkettchen schimmerte in ihrem Haar. Die Amme folgte ihrer Herrin, wie der Tod der Schönheit folgt. Das Königspaar setzte sich, die Höflinge ließen sich rings um sie nieder, und Sklaven mit Fächern in der Hand vervollständigten das Bild. Einige Dutzend der angesehensten Leute der Provinz und hochstehende Persönlichkeiten aus Jerusalem (sie waren eigens für die Festlichkeiten

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