Ein Mensch namens Jesus
mochte. Schließlich kam er in eine Taverne, in der sechs Männer lautstark miteinander stritten: sein Bruder, Natanael und Judas, Sohn des Jakob, sowie drei Jünger des Magiers Simon. Wüste Beschimpfungen flogen hin und her. »Saukopf! Scheißkerl! Geh doch zurück zu deinem Möchtegernmessias!« Aber das war noch nicht alles: »Du Rotzhändler! Drecksbauer! Nichts als albernes Zeug schwätzt dein Jesus daher!« Ab und zu wurde der hitzigen Auseinandersetzung mit Schlägen und Fußtritten ordentlich Nachdruck verliehen. Sichtlich belustigt verfolgten der Wirt, ein paar römische Soldaten und einige Kinder die Szene.
»Jakobus!« rief Johannes.
Jakobus wandte sich um und blieb wie angewurzelt stehen; ebenso Natanael und Judas. Zerzaust und unordentlich gekleidet, wie sie waren, hätte man sie für Tagediebe halten können. Sie gingen einen Schritt auf Johannes zu.
»Welchen Sinn hat es, Jesus an einem solchen Ort zu verteidigen?« fragte Johannes entrüstet. »Warum bist du nicht zurückgekehrt, und warum hast du uns überhaupt verlassen?«
»Unser Meister kann durch die Lüfte fliegen!« schrie einer der Jünger des Magiers, da er glaubte, die Gegner hätten den Kampf aufgegeben.
»Das können Fledermäuse auch«, gab Johannes zurück.
Die Soldaten lachten.
Einer der Anhänger des Magiers wollte sich gerade auf Johannes stürzen, als ihn dessen Faust auch schon mitten ins Gesicht traf. Der Mann wankte und brach zusammen.
»Wollt ihr noch mehr?« drohte Johannes den beiden anderen. »Wir schlagen euch zu Brei, noch bevor ihr überhaupt wißt, wie euch geschieht!«
Sein Ton und die zahlenmäßige Überlegenheit der Jünger Jesus’ taten ihre Wirkung. Ihre Gegner gaben klein bei.
»He, Kleiner, willst du Legionär werden?« fragte ein Soldat Johannes.
»Kommt«, forderte dieser seinen Bruder, Natanael und Judas auf, »wir müssen weiter!«
»Und wohin geht ihr?« wollte Judas wissen.
»Nach Jerusalem zum Passah-Fest.«
»Warum sollten wir mit euch kommen?«
»Ach, macht doch, was ihr wollt!« entgegnete Johannes verdrossen und ging zur Tür.
»Warte!« rief ihm Jakobus nach.
»Habe ich nicht schon genug gewartet?«
»Er wird nicht... Wie sollen wir ihm denn gegenübertreten?« fragte Jakobus.
»Ihm gegenübertreten?« äffte Johannes seinen Bruder nach. »Jakobus, wie trittst du dir selbst gegenüber? Und wie willst du erst unserem Vater gegenübertreten?«
»Er wird mich beschimpfen«, meinte Jakobus.
»Vielleicht. Aber du kannst dich nicht ewig um das, was dir gebührt, herumdrücken.«
»Wie kannst du es dir eigentlich leisten, so selbstherrlich aufzutreten?« fragte Natanael mit herausfordernd erhobenem Kinn. »Womöglich etwa, weil du sein Liebling bist? Sag doch, daß du es nicht bist, los, sag’s doch! Was immer er auch sagt, Meister Johannes, du nimmst es für bare Münze. Er befiehlt: >Eßt mich<, und der gutgläubige Johannes nickt brav. Was hast du da eben erzählt, Johannes? Daß wir zurückkehren und ihm zu Füßen kriechen sollen?«
Johannes stieß einen Seufzer aus. »Vielleicht sollte ich besser gar nichts sagen. Vielleicht versteht ihr einfach seine Art, in Gleichnissen und Bildern zu sprechen, nicht. Vielleicht habt ihr auch keine Lust, gegen andere Feinde als grölende Schreihälse in Schenken anzukämpfen. Und womöglich behauptet ihr sogar, er sei nicht der Messias. Vielleicht könnt ihr wirklich erst in Frieden mit euch leben, wenn ihr ihn verlassen habt.«
»Genau das ist es«, sagte Judas. »Kommt, Brüder, laßt uns den Verlierer begrüßen. Denn von nun an wird er ein Verlierer sein, das wissen wir alle. Er hat aufgegeben.«
»Ein Verlierer, Judas? Was hat er verloren? Warst du etwa doch auf der Suche nach einem Feldherrn oder Zeloten? Hat er nicht oft genug betont, daß er keine Armee aufstellen wolle und daß Worte Zitadellen viel sicherer zum Einsturz bringen als Sturmböcke und Schwerter? Glaubst du, daß sich die Tausenden von Juden, die sich ihm in ganz Galiläa angeschlossen haben, getäuscht haben oder daß er ihnen etwas vorgespielt hat?«
Betroffen standen die drei vor dem jungen Mann. Nach einer Weile meinte Jakobus schließlich: »Er ist mein Bruder. Ich gehe mit ihm.« Judas und Natanael verständigten sich mit einem Blick und folgten seinem Beispiel.
Als sie zu Jesus stießen, saß er gerade, von einer Menschenschar umringt, auf der Türschwelle des Hauses eines reichen Mannes. Wieder erzählte er eine Geschichte. Da sah er sie kommen, und sein
Weitere Kostenlose Bücher