Ein Mensch namens Jesus
Mann zu dessen Pflege einstellte. Mittlerweile besaß er viele Morgen Land, auch hatte er geheiratet und unlängst seinen ersten Sohn bekommen. Jesus nahm seine Einladung gern an.
Simon empfing sie aufs herzlichste.
»Nur die Obstgärten im Himmel zählen«, sagte Jesus lächelnd. »Rabbi, wenn ich einmal sterbe, wirst du da oben keinen fleißigeren Gärtner finden«, erwiderte Simon.
Alle lachten.
Simon hatte kein gewöhnliches Abendessen vorbereitet, nein, er veranstaltete ein richtiges Fest. Die Diener, die sich draußen vor dem Haus aufhielten, erklärten den Vorübergehenden, daß der vor die Tür gespannte Vorhang um Mitternacht aufgezogen werde, was bedeutete, daß das Haus dann allen offenstand. Für drei Dutzend Gäste war bereits gedeckt.
Simon schenkte Jesus einen prallgefüllten Geldbeutel, zeigte ihm dann sein Haus, ließ seinen Sohn bringen, damit Jesus ihn segnen konnte, und stellte seinem Gast schließlich alle Bewohner des Hauses und die bedeutendsten anderen Gäste vor. Das Essen wurde aufgetragen. Simon hatte Jesus den Platz des Hausherrn überlassen und sich an seine rechte Seite gesetzt. Der erste von fünfzehn Gängen wurde serviert — in Weinblätter gerolltes Lammfleisch — , und den Wein reichte man unverdünnt, wie es in Jerusalem Brauch war, noch dazu in gläsernen Trinkbechern. Die Stimmung wurde rasch ausgelassen. Ein Mädchenchor sang so fröhliche Lieder, daß es einigen der jüngsten Gäste in den Beinen juckte und sie sich erhoben, um im Kreis zu tanzen. Junge Mädchen streuten überall Blumen, und Tamburine — wo hatte man sie plötzlich nur hergeholt? — schlugen den Takt. Natanael, Jakobus und Judas, Sohn des Jakob, konnten dem Rhythmus nicht widerstehen und gesellten sich zu den Tänzern. Einige kamen zu Jesus und baten ihn, doch mit ihnen zu tanzen.
»Ich sehe euch lieber zu«, meinte er, »denn so kann ich euch alle auf einmal sehen. Tanzt nur weiter! Ihr könntet alle David heißen, kein einziger Saul ist unter euch.«
Also tanzten sie. Simon der Aussätzige mischte sich, leicht angeheitert, unter die fröhliche Runde und sang: »Lobet den Herrn, der diesen Tag und diese Nacht erschuf! Preiset den Herrn, der uns einen Messias gesandt hat! Lobet den Herrn, der uns unsere Verzweiflung vorgehalten hat!«
»Siehst du, du hast den Kummer vertrieben«, bemerkte Johannes, der es vorgezogen hatte, an der Seite seines Meisters zu bleiben. »Gefühle sind wie die Wogen des Meeres«, meinte Jesus.
»Aber ich sehe noch Traurigkeit in deinen Augen«, sagte Johannes und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: »Ist es wegen Judas Iska-riot?«
»Er ist der einzige, der bei seiner Rückkehr Angst gezeigt hat. Warum sollte er mich fürchten?« fragte Jesus.
»Aber fürchten wir dich denn nicht alle irgendwie? Mein Bruder Jakobus, Judas, der Sohn des Jakob, und Natanael hatten auch Angst zurückzukommen.«
»Aber als sie mich sahen, sind sie gleich auf mich zugegangen. Und jetzt tanzen sie sogar. Sieh dir dagegen Judas Iskariot an!« Tatsächlich! Er saß griesgrämig in einer Ecke.
»Der Sperber ist ein meisterhafter Segler, wenn er durch die Lüfte gleitet, doch auf dem Boden bewegt er sich linkisch. Der Buchfink hüpft anmutig in Feldern und Obstgärten herum, obwohl er fliegen kann. Jedes Geschöpf verhält sich so, wie es seinen Gewohnheiten entspricht. Hast du mich diesmal verstanden? Außerdem: Warum hast du mich gefragt, ob. ich wegen Judas traurig bin?«
Die Gäste priesen, daß der Messias gekommen sei, über Jesus’ Gemüt aber legte sich ein Schatten.
»Wenn sie wüßten, was der Messias ihnen bringt«, murmelte er, »würden sie gewiß nicht so ausgelassen singen. Und doch, ich mag die Fröhlichkeit.«
»Du bist ihr Messias«, bemerkte Johannes.
»Für sie bin ich der Messias«, fuhr Jesus fort. »Ich versuche, sie zu führen, wie Moses sie aus Ägypten geführt hat. Aber wollen sie die Freiheit wirklich?«
Dann erstarrte er zu Johannes’ Verwunderung plötzlich. Beide wandten sich um. Eine Frau stand da. Mit ihren dunklen Augen, die durch tiefliegende Schatten und Antimonschminke — die Frauen färbten sich mit ihr die Lider, wenn sie viel geweint hatten — noch schwärzer wirkten, mit ihren eingefallenen Wangen und dem ernsten Gesichtsausdruck bildete sie einen krassen Gegensatz zur Heiterkeit des Festes.
Bei ihrem Anblick wurde Simon der Aussätzige mit einem Schlag wieder nüchtern. »Maria Magdalena«, sagte er, »willkommen in meinem Haus!« Sein Blick
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