Ein Mensch wie Du
Franz Krone gut sehen konnte, ohne einen besonderen Kegelscheinwerfer einzusetzen.
Sandra Belora lag in ihrer Garderobe auf dem Sofa und blätterte in einer Illustrierten, während die Friseuse ihre Perücke durchkämmte und noch einmal mit der Brennschere bearbeitete. Sandra hatte durchgesetzt, daß sie mit einem Telefon direkt mit der Garderobe Franz Krones verbunden war, und rief nun jede fünf Minuten an. »Liebling … Lampenfieber?« fragte sie. »Aber nein«, rief er zurück. »Ich habe es«, sagte sie dann. »Das erstemal werden wir jetzt zusammen singen, vor aller Welt! Ich glaube, ich vergesse meine Rolle, wenn ich dich auf der Bühne küsse …« Er lachte und legte den Hörer auf. Als er in den Spiegel blickte, sah ihm ein fremdes Gesicht entgegen, ein schwarzer Lockenkopf, ein Italiener, in einem weiten, bauschärmeligen Hemd, engen, rot-golden verzierten Hosen mit schwarzen Lackschnallenschuhen.
»Möchten Sie das Gesicht noch etwas brauner?« fragte der Theaterfriseur. »Im Scheinwerfer sieht man leicht käsig aus.«
»Wenn Sie meinen – ich überlasse das ganz Ihnen.« Und der Friseur nahm den Kopf Krones und strich noch etwas Mittelbraun über das Gesicht … Leichnerschminke in dünnen Rollen wie der Knetgummi, den er als Junge in der Schule zum Modellieren brauchte.
In der ersten Reihe, gleich hinter der Rampe des Orchesterraumes, saß Greta Sanden.
Sie hatte durch die Vermittlung des Hotelportiers die seltene Karte von einem Schwarzhändler bekommen. Statt sieben Mark fünfzig mußte sie zwanzig Mark dafür bezahlen, aber sie zahlte sie gern, um in der ersten Reihe zu sitzen, wo Franz sie sah, sehen mußte, denn ihr Gesicht lag noch im Widerschein der Rampenlichter und der Orchesterbeleuchtung. Sie trug das ›kleine‹ dreiviertellange Abendkleid, aber nicht mit der Fröhlichkeit, mit der sie es für diesen festlichen Abend in Köln gekauft hatte: Die kurze Szene vor dem Opernhaus lastete auf ihr. Sie sah noch immer das Lachen Sandras vor sich und die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich bei Franz einhakte. Dies geschah nicht zum erstenmal, das hatte sie sofort gesehen … Es war eine Intimität in der Bewegung, die sie kränkte und völlig wehmütig werden ließ. Nun saß sie in der ersten Reihe der Oper, das glatte Kunstdruckpapier des Programmheftes zwischen den Fingern zerknüllend. Sie war früh gekommen, zu früh für ihre innere Zerrissenheit; nun saß sie herum, mit dem Gefühl im Nacken, daß jeder ihren Schmerz sehen konnte und daß sie sich so auffällig benahm, daß eigentlich ein Theaterdiener kommen und sie diskret bitten mußte, das Opernhaus zu verlassen. Sie schaute sich erschrocken um, aber es kam niemand. Sie blätterte in dem Programmheft herum … Das Bild Franz Krones sprang ihr entgegen, eine ganze Seite, schon im Kostüm des Cavaradossi fotografiert. Sie sah es nicht an, sie blätterte schnell um und stockte. Sandra Belora als Tosca … Auch eine ganze Seite. Ein schönes Bild einer schönen Frau: große dunkle Augen, ein voller Mund, schwarze Haare, ein schmales Gesicht mit mandelförmig geschnittenen Lidern, ein schlanker, aber gut proportionierter Körper in dem Phantasiekostüm der Sängerin Tosca. Eine Frau, die Leben atmet, Sicherheit, Liebe, Leidenschaft und Vergessen.
Sie starrte das Bild an mit zusammengekniffenen Lippen, lange, das Bild dieser Frau in sich aufnehmend – dann riß sie die Seite aus dem Heft und zerknüllte sie wütend in der kleinen Faust. Sie warf das kleine Papierknäuel unter ihrem Sitz weit zurück in den Raum zwischen die Füße der anderen Gäste und empfand bei dieser Tat eine innere Befriedigung, als habe sie Sandra Belora selbst hinter sich in den Saal geworfen zum Gespött aller Menschen.
Ihre kleine Rache glättete etwas die innere Unruhe. Als die Mitglieder des Orchesters in den Raum kamen und Professor Bucher das Lämpchen am Dirigentenpult anzündete, war sie ganz ruhig und gefaßt. In den Gängen und dem Foyer schellte schrill eine Klingel. Das erste Klingelzeichen. In den Garderoben der Sänger und des Chores flammten die roten Lämpchen auf, am Inspizientenpult stand der Chefinspizient und schimpfte mit dem Requisiteur, weil zu der Palette des ersten Bildes überraschenderweise noch die Pinsel fehlten. Eine allgemeine Nervosität schwirrte durch den riesigen Bühnenbau. Die letzten Griffe an den Kulissen wurden getan, die Beleuchtung war eingestellt, Vandenbelt stand auf der Bühne und kommandierte.
Dr. Fischer saß
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