Ein Mensch wie Du
bekomme keinen Ton mehr heraus. Warum, das erzähle ich Ihnen später! Lassen Sie mich los!«
»Ich denke nicht daran! Ich halte Sie fest, bis sich der Vorhang öffnet! Sie werden singen! Und wenn ich hinterher irrsinnig werde! Dutzende von Kritikern im Saal, Minister, Exzellenzen, die Hochfinanz, zweitausend Menschen, die den neuen Stern sehen und hören wollen: Das Wunderkind Franz Krone! Den neuen Gigli! Soll ich vor die Rampe treten und sagen: ›Der Wundersänger singt heute nicht … Er hat sich in die Hosen geschissen vor Premierenangst‹?«
»Was sie den Leuten erzählen, ist mir gleichgültig!« Franz Krone riß sich los und fuhr sich mit den Händen zitternd durch die Haare der schwarzen Lockenperücke. »Ich kann nicht singen! Meine Stimme ist weg …«
»Ich hänge mich auf!« schrie Vandenbelt. »Wo ist die Belora?« tobte er über die Bühne. »Die Belora muß sofort kommen. Sofort! Sie soll einen Verrückten heilen!«
»Lassen Sie Sandra da.« Franz Krone lehnte an dem Gitter der Angelotti-Gruft des Bühnenbildes. »Ich will sie jetzt nicht sehen!« Er hob bittend die Arme. »Rufen Sie doch Bossmer, bitte …«
Intendant Dr. Fischer kam auf die Bühne gestürzt. Schon auf der Hinterbühne hatte er vom Requisiteur den Skandal gehört. Sein Frack war in Unordnung, die Schleife saß schief am Kragen, so war er auf die Bühne gestürzt.
»Was ist los, Krone?« sagte er, mühsam beherrscht. »Sie wollen nicht singen?!«
»Nein! Heute nicht! Morgen und übermorgen und in jeder Vorstellung … Nur nicht heute! Ich kann nicht.«
Vandenbelt hob beide Arme und wollte etwas sagen, aber Dr. Fischer winkte ab. Er trat nahe an Krone heran, ganz nahe, und sagte leise: »Wenn Sie jetzt nicht singen, verklage ich Sie zu einer Konventionalstrafe von 20.000 DM!«
»Das können Sie … Das können Sie alles … Ich singe nicht!«
»Wovon werden Sie das Geld bezahlen? Wenn Sie jetzt nicht singen, werden Sie auf keiner Bühne mehr eine Rolle bekommen – nicht einmal als Statist, der hinter der Bühne das Pferdegetrappel macht!«
»Das ist mir alles, alles gleichgültig! Ich singe nicht!« Und plötzlich schrie auch er und schüttelte wieder die Hand Vandenbelts ab, der seinen Arm erfaßt hatte. »Ich kann nicht! Verstehen Sie denn alle nicht? Ich kann nicht! Morgen ja – aber nicht jetzt!«
Die Lampen im Zuschauerraum erloschen, die Türen auf den Rängen und an den Logen wurden geschlossen, der gesetzlich vorgeschriebene Feuerwehrmann bezog seinen Posten neben dem Inspizientenpult, wo auch die Feuerspritze in einem Glaskasten lag.
Professor Bucher drückte auf einen Knopf an seinem Pult, auf der Bühne schellte es leise. ›Die Ouvertüre beginnt‹, sollte das heißen.
Dr. Fischer stellte sich Krone in den Weg, der die Kulisse verlassen wollte. Sein Gesicht war bleich, aber beherrscht. »Die Ouvertüre!« sagte er langsam. »In sechs Minuten geht der Vorhang auf. Dann stehen Sie dort am Malergerüst und singen!« Er sah auf die Bühne. Vandenbelt hatte sich neben den Inspizienten gestellt und tupfte den Schweiß von seiner Stirn. Die Ouvertüre klang auf, die süße Musik Puccinis erfüllte den Raum, auch hinter dem Vorhang. Die Scheinwerfer flammten auf … In diesem Augenblick erschien Sandra Belora.
Sie trat an Franz Krone heran, legte ihm die Arme um die Schulter und küßte ihn. »Liebster«, sagte sie zärtlich. »Viel, viel Glück! Erobere die Welt.«
Franz Krone hielt sich an einem Seitenvorhang fest, er taumelte. Sein Gesicht war wie entstellt.
»Was hast du, Liebster?« stammelte Sandra erschrocken. Sie wollte ihn umfassen, aber Krone stieß sie härter, als er wollte, zurück. »Laß mich«, sagte er schwach.
»Er will nicht singen«, knirschte Dr. Fischer. »Aber er wird singen!«
Sandra begriff einen Augenblick nicht, was Dr. Fischer sagte. Sie hatte Krone voll Entsetzen angestarrt – es war, als verfiele plötzlich sein Gesicht. »Was will er nicht?« stotterte sie. »Das … Das ist doch … unmöglich …« Sie wollte noch etwas sagen; der Inspizient winkte. Dr. Fischer gab Krone einen gewaltigen Stoß, er stolperte auf die Bühne, in das Licht der Scheinwerfer hinein. Die Ouvertüre ging zu Ende, die letzten Takte, der schwere Vorhang teilte sich … Viertausend Augen starrten erwartungsvoll auf den Mann, der wie benommen vor der Staffelei stand, ohne Palette, ohne Pinsel, ohne einen Blick auf den zunächst erstaunten, dann aber völlig entgeisterten Professor Bucher.
Introduktion
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