Ein Mensch wie Du
laut lachen über sein erstauntes Gesicht, seine ungläubigen Augen. Wir werden glücklich sein. Trotz allem …«
Greta Sanden steckte den Brief in den seit Monaten stillgelegten Ofen und schloß laut die Ofentür wie zur Bekräftigung, daß sie fahren würde und daß sie diesen Brief nie gelesen habe, nie hatte lesen wollen, daß er einfach nicht für sie existierte.
Zu ihrer Wirtin sprach sie nicht über das Schreiben – sie verabschiedete sich von ihr, als ziehe sie wirklich hinaus in ein neues, glücklicheres Leben und lasse die Dinge des Vergangenen nur zurück, um unbeschwert die neue Straße ihres Lebens entlangzugehen.
Erst in der weiten Bahnhofshalle überfiel sie etwas wie Angst vor dem Kommenden, dem Unbekannten, das sie nicht sehen sollte und dem sie nun gerade entgegenfuhr. Ihr fiel auch ein, daß sie ja gar keine Eintrittskarte zu der Premiere besaß und daß es fast aussichtslos war, in München noch eine Karte zu erwerben. Trotzdem fuhr sie, von einer dunklen Angst getrieben, die ihr sagte, daß sie fahren müsse, um etwas Drohendes, das sie nicht dem Namen nach bestimmen konnte, von Franz abzuwenden.
Es war ein Nachtzug, und Greta saß die ganze Nacht ruhelos an ihrem Fensterplatz und starrte in die an ihr vorbeifliegende Dunkelheit. Einzelne Häuser hoben sich im schwachen Lichtschein für einen Augenblick aus der Dunkelheit ab, ein Wald, schwarz, wie eine Wand … Sie durchrasten ihn … In der Ferne eine Stadt, lichtüberflutet … Dann Felder, wieder ein Wald … Nacht … Sie mußte schließlich doch eingeschlafen sein, denn als sie erwachte, war heller Morgen, und der Zug fuhr die bayrische Hochebene, München entgegen. Der Steward der Schlafwagengesellschaft lief durch die Gänge und rief zum Morgenkaffee.
München.
Die Premiere am heutigen Abend.
Franz Krones erstes Auftreten.
Greta Sanden bestellte keinen Kaffee – sie verspürte keinen Appetit, denn die innere Erregung zwängte ihr die Kehle zusammen und ließ sie jetzt, zehn Minuten von München entfernt, zu einem Bündel bebender Nerven werden. Ihr Herz schlug zum Zerspringen.
Der Morgen glitt sanft durch die vorgezogenen schweren Gardinen. Sie lag in der Beuge seines Armes und schlief noch. Ihr Mund war im Schlaf trotzig, und die langen Wimpern warfen Schatten auf die Jochbeine des schmalen, gelbbraunen, fast kreolischen Gesichtes. Langsam hob und senkte sich die hochangesetzte, kleine, spitze Brust, kaum verhüllt von der weiten Pyjamajacke aus dünnstem, teerosenfarbigem Perlongespinst. Sie lag da wie in einer schönen, zwielichtigen Filmrolle, hingekuschelt in die Armbeuge des Mannes, den Körper ein wenig angewinkelt, anschmiegsam, hingegeben dem Glück, in seinen Armen eingeschlafen zu sein.
Franz Krone war wach. Er lag still, um sie nicht aufzuwecken, und starrte an die Decke. Ihre schwarzen Haare kitzelten ihn an der Haut. Aber er vermied es, ihren Kopf ein wenig zur Seite zu schieben oder selbst tiefer zu gleiten. Sie konnte davon erwachen, und das wollte er nicht. Sie sollte schlafen. Ihr Schlaf war Ruhe, ihr Erwachen würde wieder Sturm, Leidenschaft und vergessende Liebe sein.
Dies war der Morgen des Premierentages, irgendwo in einem Hotel außerhalb Münchens im Isartal.
Sie waren vor zwei Tagen mit Sandras Wagen hinausgefahren. Ziellos hatte sie den weißen De Soto – »er kostete mich einen Konzertabend in San Francisco«, erzählte sie – durch die Isarniederungen gesteuert, bis sie in der Nähe von Wolfratshausen, 25 km von München entfernt, ein Ausflugshotel fanden mit einem silberhellen Forellenteich und einem Park mit Liegestühlen und Sonnenschirmen. Hier hielt Sandra, ihre Augen sahen Krone groß an, in einer stummen Frage, und da er nichts entgegnete, war sie in den Garagenhof eingefahren. Alles war von da an so selbstverständlich, so einfach, so gewohnt und ehelich – möchte man sagen –, daß Franz Krone erst jetzt, wenige Stunden vor der Premiere und in der Stille des erwachenden Morgens, die Zeit fand, darüber nachzudenken.
Sie waren in den beiden Tagen immer nach München zur Probe zurückgefahren. Die Hauptprobe war gut, die Generalprobe verlief – wider Erwarten von Professor Bucher und Regisseur Vandenbelt – ohne Krach. Sandra Belora war der Friede in Person, sie widersprach keinen Anordnungen, sie mäkelte nicht an dem Kostüm herum, sie warf den Theaterfriseur während des Schminkens nicht aus ihrer Garderobe, sie sang die Rolle der Tosca – wie Franz Krone – zum erstenmal mit
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