Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
der Arie … Der Mesner kam auf die Bühne, er kehrte die Kirche … Jetzt … Einsatz …
    Franz Krone schwieg.
    Einen Augenblick legte sich ein eisiger Ring um die Brust Professor Buchers. Der Darsteller des Mesners schaute kurz auf, dann kehrte er geistesgegenwärtig weiter. Das Orchester stockte einen Augenblick, nur einen kleinen Takt lang, dann spielte es noch einmal die Eingangsmelodie, der Mesner sang noch einmal seine Begrüßung … Introduktion … Einsatz der Arie ›Wie sich die Bilder gleichen …‹
    Dr. Fischer stand in der Seitenkulisse und kaute auf den Lippen, Vandenbelt hatte den Kopf in die Hände vergraben und stöhnte, Sandra lehnte bleich an einem Versatzstück und zitterte wie in einem Schüttelfrost.
    Franz Krone blickte zur Seite, nach unten in die erste Reihe des Sperrsitzes. Er sah den blonden Kopf Gretas, ihre zu ihm emporgehobenen Augen, groß, blau, erwartungsvoll, und jetzt, da er schwieg, voller Entsetzen. Er sah ihre Hände das Programm zerfetzen, er sah das Beben ihres Körpers. Jetzt hob sie die rechte Hand, bittend, verzeihend, ihm verschämt zuwinkend … Da sang er. Professor Bucher atmete einen Augenblick auf, ehe er in neues Entsetzen fiel.
    Ein Sänger sang, aber nicht ein Franz Krone. Ein mittelmäßiger Tenor quälte sich durch die Arie, die Höhen waren rauh, gepreßt. Nichts war zu hören von dem wundervollen weichen Schmelz der Stimme, dem Geheimnis der Voix mixte, der Kunst der Messa di voce, jenem Glanz der Stimme, der ihn das Erbe eines Caruso oder Gigli antreten ließ. Er sang unter dem Durchschnitt, es war eine Stimme, aber eine gebrochene. Bei dem sonst sieghaften C, das sogar Dr. Fischer vom Sitz gerissen hatte, wurde sie dünner und brach schließlich ab, weil Krone seinen Atem falsch berechnet hatte und nicht mehr genügend Luft hatte, dieses C durchzustehen.
    Sandra lehnte in der Kulisse und weinte. Dr. Fischer rannte davon und eilte durch die Gänge zu der Staatsloge hinauf, um diplomatisch zu retten, was noch zu retten war. Vandenbelt hockte bereits am Telefon und bettelte und flehte Kammersänger Bossmer herbei. Ein Wagen war schon unterwegs, ihn abzuholen.
    Im Zuschauerraum erhob sich ein Raunen, als die große Arie beendet war. Kein Beifall, kein Dakapo, kein Füßegetrappel, wie es sonst bei großen Sängern nach dieser Bravourarie üblich war. Eisiges Schweigen erfüllte das riesige dunkle Rund; nur eine einzige Hand klatschte, dünn, scheu, fast ängstlich. Der Ton dieses Klatschens stand in dem dunklen Raum, bis er von dem einsetzenden Orchester wie ein kleiner Tropfen von einem riesigen Schwamm aufgesogen wurde.
    Franz Krone schaute hinab auf Greta und sah sie allein applaudieren. Er lächelte ihr zu, ein schwaches, unendlich trauriges Lächeln, das Lächeln eines Sterbenden, der herrliche Fluren und köstliche Dinge in einer letzten Vision seines Gehirnes sieht. Dann wandte er sich ab. Sandra Belora kam auf die Bühne geeilt, als Tosca ihren Cavaradossi zu begrüßen.
    Als sie auf ihn zuging, kam ihr Krone entgegen. Sie blieb stehen, lächelte ihn an, obwohl ihr die Tränen in den Augen standen. Jetzt stand er vor ihr; sein Blick war leer, fern von ihr, wesenlos; dann ging er an ihr vorbei und verließ die Bühne.
    Unter erstauntem Gemurmel, das anschwoll und zur erregten Debatte wurde, fiel schnell der Vorhang. Professor Bucher klopfte ab. Die Lichter gingen an. Dr. Fischer erschien an der Rampe, bleich, mit zerknitterter Frackbrust.
    »Ein plötzliches Unwohlsein Herrn Krones zwingt uns, sofort umzudisponieren. Nach einer Pause von etwa fünfzehn Minuten wird die Oper weitergehen. Die Rolle des Cavaradossi übernimmt Herr Kammersänger Bossmer.« Er hob die Arme, bedauernd, daß er dies sagen mußte. »Wir werden Ihnen in der Pause die Diagnose des Theaterarztes sagen. Vielleicht wird Herr Krone die Oper zu Ende singen. Hoffen wir, daß es nichts Schlimmes ist«, setzte er diplomatisch hinzu, denn er wußte in diesem Augenblick, daß Franz Krone nie mehr an der Münchener Oper singen würde, auch wenn er singen konnte wie Caruso und Gigli in einer Person. »Ich bitte die verehrten Herrschaften um die kleine Geduld von fünfzehn Minuten und um Verständnis für die plötzlich aufgetretene Lage.«
    Er zog sich hinter den Vorhang zurück und prallte dort auf Vandenbelt, der um Jahre gealtert schien.
    »Wo ist Krone?« fragte Dr. Fischer.
    »In seiner Garderobe!«
    »Ich gehe zu ihm. Aus diesem Kerl mache ich Hackfleisch!« Dr. Fischer rückte nervös

Weitere Kostenlose Bücher