Ein Mensch wie Du
umschlungen durch die Nacht. Gloria hatte die Hand leicht auf seinen Arm gelegt, so wie damals in Linz, als sie ihn auf der Bank auflas wie einen Strolch, wie einen Chlochard unter den Brücken der Seine.
»Woran hast du eben gedacht?« fragte Gloria leise und lehnte sich wieder an ihn. Er umfaßte ein wenig zögernd ihre Schulter.
»Ich habe darüber nachgedacht, wer ich bin! Eine Frage, die du mir schon vor Wochen stelltest.«
»Und jetzt hat du es herausgebracht?«
»Ja.« Er lächelte wehmütig. »Ich bin ein Jazzsänger.«
»Du weichst mir aus, Franz.« Sie beugte den Kopf weit vor und sah in seine traurigen Augen. »Seit Wochen weichst du mir aus! Warum denn, Lieber? Warum willst du nicht glücklich sein?«
»Vielleicht muß ich es?! Wer weiß?« Er beugte den Oberkörper zurück und nahm die Augen aus ihrem forschenden Blick. »Warum willst du wissen, wer ich bin?!«
Gloria schloß die Augen. Es war, als horche sie erst nach innen, ehe sie Antwort gab. »Weil ich dich komischen, unbekannten Menschen gern mag«, sagte sie dann leise. »Muß ich es dir erst sagen?«
Er stockte einen Augenblick mit den Worten, die er noch sagen wollte. Seit jenem Abend in Linz, an dem sie ihn mit zu Jackie John genommen hatte und er in der Band als Jazzsänger auftrat, mit ihnen durch Österreich zog und nun hier in Sievering in der Nacht allein mit Gloria auf einer Bank saß, immer, immer – auch jetzt – hatte er Augenblicke gehabt, in denen er sagen wollte: »Ich bin ein Entgleister, ein Feigling, ein Opernstar, der an der Schwelle des höchsten Ruhmes an seiner Zwiespältigkeit zerbrach. Zwei Frauen habe ich Unglück gebracht, die Kunst habe ich beleidigt, das Vertrauen guter Menschen getreten und mißbraucht … Alles in allem: Ich bin eine elende Kreatur!« Und nun sagte sie ihm, daß sie ihn liebe. Sie sprach aus, was er seit Wochen spürte, was auch sein Inneres durchzog, wenn er sie ansah oder neben sich fühlte, einen Teil ihres warmen Armes, ihre tastenden Hände, ihre Schultern, die sich an ihn lehnten. Dann hatte er den Drang, sie zu küssen, und er stieß sich selbst zurück unter der Last der Gedanken, daß auch dieses Mädchen unglücklich werden würde.
Franz Krone biß sich die Lippen aufeinander. Er rückte ein wenig von Gloria weg und gab ihren Kopf, der auf seiner Schulter lag, damit frei. »Vergiß, was wir eben gesprochen haben«, sagte er leise. »Die Frauen haben kein Glück mit mir … Ich bringe ihnen Sorgen und Kummer. Und gerade das möchte ich dir nicht bringen …«
Er erhob sich ein wenig schroff, aber als er ihre verwunderten, fast ängstlichen Augen sah, lächelte er und zwang sich zu einer jungenhaften Stimmung. Er verbeugte sich galant und hielt ihr seinen angewinkelten Arm entgegen, so, wie ein Tanzstundenjüngling zum erstenmal seine Partnerin zu einem Walzer auffordert. »Gloria Marina, darf ich Ihnen meinen Arm anbieten? Die Nacht ist so mild und voll romantischer Stimmen … Es wäre schade, sie zu versäumen durch kleinliche, eigene Gedanken.«
Gloria erhob sich. Mit gesenktem Kopf hakte sie sich bei Franz Krone ein. »Ich werde wissen, wer du bist«, sagte sie leise. »Und wenn es Jahre dauert!«
Bedrückt und wortlos fuhren sie später nach Wien zurück. Jackie John erwartete sie in der kleinen Hotelhalle und zeigte ihnen freudestrahlend ein Bündel Papiere.
»Kinder«, rief er begeistert. »Franz hat eingeschlagen! Hier – neue Verträge mit drei Agenten! Ungarn, Bulgarien, Jugoslawien und Griechenland! Für dreiviertel Jahre besetzt!« Er klopfte Franz Krone auf die Schulter und winkte dem Barkeeper zu, der in der hinteren Hallenecke hinter seinen blitzenden Hähnen und Gläsern stand. »Jim – zwei doppelte Gin und einen süßen Ohio!« Und zu Krone gewandt: »Wir machen aus der John-Band ein Spitzenorchester – in einem Jahr spielen wir im Casino von Monte Carlo! Darauf müssen wir einen zwitschern!«
Der Gin und der Cocktail kamen. Unlustig, um Jackie die Stimmung nicht zu verderben, tranken Gloria und Franz die scharfen Getränke und gingen dann stumm auf ihre Zimmer. Jackie John blieb an der Bar zurück und betrank allein die neuen Verträge mit einer Virtuosität, die er sonst an der Trompete entwickelte.
In Budapest, in einem Hotel hoch über der Donau, ergriffen von der Schönheit der Stadt mit ihren den Fluß überspannenden eleganten Brücken, küßte Franz Krone zum erstenmal Gloria Marina mit dem Bewußtsein, eine schöne, zitternde, erwartungsvolle
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