Ein Mensch wie Du
geträumt, diesen Boden zu sehen, der das Gesicht des geistigen Europas formte. Olympia, Sparta, Korinth, die Thermopylen, Athen mit seiner Akropolis, Marathon, die Mauern des Perikles, Salamis, wo Themistokles die Perser in einer Seeschlacht besiegte. Wann war das? Laß mich mal nachdenken. 480 v. Chr.« Er lachte leise. »Ich war in Geschichte einer der Besten unserer Klasse. Immer wieder habe ich davon geträumt, diese Orte zu sehen.«
»Und jetzt siehst du sie … Mit mir.« Gloria küßte ihn wieder. Der Mann nickte. Es war Franz Krone.
»Das ist das Schönste, Gloria … Ich bin glücklich, dich zu haben.« Er setzte sich auf und strich mit der Hand den Sand von den Beinen. »Was wäre ich jetzt ohne dich?«
Sie legte ihm den Finger auf den Mund und umarmte ihn. »Du hast eben noch gesagt: Das Leben ist ein leichtes Mädchen, das nicht nach gestern und morgen fragt!«
Er nickte. »Komm«, sagte er. Er erhob sich und dehnte die Arme weit auseinander. »Dieser Wind! Dieses herrliche Meer!«
Sie kletterten den steilen Felsenpfad wieder hinauf und liefen zu dem kleinen blauen Wagen, wo sie sich ihre Kleidung überwarfen und dann noch einmal über den Golf von Nauplia blickten. Am Horizont, im Dunst des Meeres und des Himmels, ahnte man den Küstenstreifen von Arkadien mit dem berühmten Mönchskloster von Tyros.
Gloria setzte sich hinter das weiße Steuerrad und zupfte den Mann am Saum der Jacke, ihn aus seiner Betrachtung des Meeres losreißend.»Wohin fahren wir jetzt, Liebling?« fragte sie.
»Die Straße zurück bis kurz vor Nauplion, dann östlich weiter in Richtung Ligurio. Aber kurz vorher halten wir … Da ist ein großes Ruinenfeld, das will ich sehen.«
»Ruinen?!« maulte Gloria. »Welcher Kaiser hat denn da gelebt oder ist ermordet worden.?«
»Keiner, meine Süße.« Der Mann kletterte in den Wagen und streichelte ihr über das lange, schwarze Haar. »Wenn du einmal krank sein solltest, dann mußt du zu diesen Ruinen gehen – vorausgesetzt, daß du als Griechin noch klassisch denkst. Denn dort, zwischen Nauplion und Ligurio, bei den Felsen des Arachnaion, liegt der Tempel des Asklepios, des Gottes der Heilkunst.«
Gloria trat auf den Anlasser und drückte die Kupplung durch. »Hätte ich mich doch nie in einen humanistisch gebildeten Mann verliebt!« Sie schlug theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen. »Tempel des Asklepios, Liebling – ein Tempel der Aphrodite wäre mit viel, viel lieber …«
»Den zeige ich dir heute abend.« Er beugte sich zu ihr und küßte sie in den Nacken. Sie lachte auf und bog sich zurück. »Du!« seufzte sie. »Du bist ein Satan! Selbstverständlich fahre ich dich zu deinem Tempelheiligen …«
Schnurrend fuhr der kleine blaue Wagen die Straße hinab nach Avgó.
In Nauplion probte unterdessen der Jazzkapellmeister Jackie John mit seinem Orchester eine neue, selbst arrangierte Nummer. Sie spielten im Saal des einzigen Cafés, dem eine Bar angegliedert war mit einer großen Tanzfläche, die überging in einen Garten aus Zypressen, Korkeichen und Mimosenbüschen.
Jackie John war der Typ des amerikanischen Jazzmusikers. Er trug enge, zu kurze Hosen, grell gemusterte Hemden ohne Schlips, einen Bürstenhaarschnitt und breite, immer wie ausgelatscht aussehende, kreppbesohlte Schuhe aus hellstem Leder. Sein Gesicht war fahl, zerknittert wie Frank Sinatra und erinnerte fast an eines der vielen Gangsterbilder, die man so oft in den Illustrierten aus Amerika sieht. Nur wenn er spielte, ob es Trompete war oder Klarinette, überzog sein Gesicht das Leuchten höchster Glückseligkeit, es wurde fast kindlich zufrieden, und er freute sich auch wie ein Kind, wenn der Applaus ihn umbrandete und seine Band – wie er sein Orchester nannte – sich erhob und an die Instrumente schlug. Das war ein Gag, der immer wieder zog und den er den Philharmonikern abgeguckt hatte, die nach einem Konzert zur Ehrung des Dirigenten mit den Bögen an die Saiten schlugen.
Er war immer vergnügt; nur wenn die Rede auf seine Griechenlandreise kam, war er mißgestimmt und nannte sich einen Vollblutidioten. Schuld daran hatte eigentlich Gloria Marina, die Sängerin seiner Band, die in Österreich, genauer gesagt in Linz an der Donau, einen jungen, dürren, fast verhungerten Mann aufgegabelt und zu Jackie gebracht hatte.
»Sieh mal, mein Lieber«, hatte sie gesagt und den jungen Mann vor Jackie hingestellt. »Das ist Herr Krone.«
Jackie hatte sich den Langen betrachtet und genickt.
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