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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Erde lag ich und hungerte. Von München nach Linz – es war kein weiter Weg. Mit einem Lastwagen fuhr ich über die Grenze, versteckt zwischen Kisten mit amerikanischer Armeeverpflegung … Sie kontrollierte keiner, die deutschen Zöllner grüßten sogar, weil ein Offizier vorne im Wagen saß. Ich wußte eigentlich nicht, was ich in Österreich sollte – ich hatte nur den einen Gedanken: Fort aus Deutschland, brich alle Brücken ab, die dich mit der Vergangenheit verbinden und auch deine Zukunft noch bestimmen könnten. Flüchte wie ein Verbrecher, denn du bist ja ein Verbrecher: Du hast zwei Herren betrogen, du hast deinen Intendanten bestohlen, deinen alten Professor enttäuscht, du hast an einem Abend zweitausend Menschen hintergangen, die gekommen waren, dich zu feiern. Und nur aus Feigheit! Nur, weil du Greta liebtest und Sandra auch, weil Greta die Ruhe und Sandra das lockende Leben war, zwei Dinge, die du beide besitzen wolltest. Du Narr, du Stümper, du heilloser Phantast! Jetzt hast du gar nichts, weder Ruhe noch das lockende Leben, sondern Hunger und die beste Aussicht, auf dieser Bank in Linz, im Anblick der Donau, liegen zu bleiben und wie ein altes Tier einfach einzugehen, ganz still, ganz unauffällig, ein Unbekannter, den man verscharren würde auf Gemeindekosten irgendwo auf dem Linzer Friedhof, wo es nicht auffiel, wenn man dein Grab schnell wieder für andere, angesehenere Menschen freigab.«
    Da war Gloria vorbeigekommen, hatte einen Augenblick gestutzt, sich zu ihm gesetzt auf die Bank und ihn prüfend angesehen.
    »Haben Sie Hunger?« hatte sie ihn gefragt. So, wie man einen Hund fragt: »Willst du Knöchi?« Und er hatte genickt und sich in einem Anflug von Galgenhumor erhoben, sich verbeugt und vorgestellt. »Gestatten Sie, unbekannte Dame: Mein Name ist Krone. Franz Krone. Ich bin gewissermaßen die Krone der Landstreicher.«
    So hatten sie sich kennengelernt. Sie hatte ihm aus ihrer Handtasche eine halbe Tafel Schokolade gegeben, mit einem bedauernden Achselzucken. »Mehr habe ich im Augenblick nicht bei mir.«
    »Schokolade! Welch ein Göttergeschenk!« Er hatte die Tafel wie ein Rauschgiftsüchtiger sein Pervitin gegessen, gierig, unbeherrscht, fast ängstlich, sie könne ihm die Tafel wieder wegnehmen. Dann hatte er sich zurückgelehnt und auf ihre Tasche geblickt. Ein Bündel zusammengefalteter Noten sah aus ihr heraus.
    »Noten?« fragte er. »Sie sind musikalisch, unbekannte Retterin?«
    »Ich bin Sängerin.«
    »O Gott!« hatte er gerufen, und er mußte sehr entsetzt ausgesehen haben, denn das Mädchen lachte laut auf.
    »Ist das so schlimm? Vagabund ist schlimmer!«
    »Fast dasselbe, mein Fräulein! Sängerin …« Und plötzlich lachte er, grell, haltlos, sich biegend und fast hysterisch. »Sängerin!« japste er und schüttelte wild den Kopf. Aber so plötzlich, wie der Lachanfall kam, verschwand er wieder. Ernst sah er sie daraufhin an. »An der Oper?«
    »Nein, in einem Jazzorchester. Bei Jackie John.«
    »Bei Jackie John! Sieh an! Ich kenne zwar diesen Boy Jackie nicht, aber daß er eine Jazzband hat und kein Opernintendant ist, macht ihn mir gleich sympathisch.« Er hatte dann wieder auf die Donau geschaut, hinüber zur Kuppe des Sternsteins, hinter dem die tschechische Grenze begann. »Sicherlich heißen Sie Mary John?«
    »Nein, Gloria Marina«, ließ sie sich überrumpeln. Als er sich dankend im Sitzen verneigte und sie merkte, daß er sie übertölpelt hatte, hob sie drohend den Finger. »Sie sind mir für einen Vagabunden zu sehr gewandt«, meinte sie. »Wer sind Sie? Wie kommen Sie nach Linz?«
    Die gleichen Fragen, die sie ihm jetzt hier im Wiener Wald stellte, nachdem sie ihn mitgenommen hatte zu Jackie John.
    »Ich kann auch ein wenig singen«, hatte er damals zu Gloria gesagt. »Hätte Ihr Jackie keinen Job für mich?«
    »Wir müßten ihn fragen.«
    »Tun wir das.«
    Franz Krone schreckte auf. Eine Hand hatte ihn berührt. Die Wirklichkeit drängte sich wieder an ihn und zerstörte seine Erinnerung an die bitteren Stunden in Linz. Wie lange war das her? Zwei Wochen, drei, vier? Was waren Tage und Wochen für einen Menschen, der ohne Hoffnung lebte, für den Augenblick, der seinen Namen verlor, sein Gesicht, seine Achtung, seine Liebe.
    Er wischte sich über die Augen, als habe er geträumt. Er saß noch immer auf der Bank bei Sievering, unterhalb des Hermannskogels. Die Weinlokale löschten die Lichter, die letzten Liebespaare gingen durch den milden Herbstabend eng

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