Ein Mensch wie Du
»Nett! Und was soll er? Wir sind kein Zirkus, der mit Bobby, dem Hungerkünstler, reist.«
»Er kann singen, mein Süßer.« Gloria Marina hatte dann ein Notenblatt von dem Klavier genommen und es Franz Krone in die Hand gedrückt. »Kommen Sie, Herr Krone. Singen Sie das mal. Jackie wird Sie begleiten.«
Sie nickte John zu. »Einen Teufel werd' ich«, dachte er, aber dann saß er doch hinter den Tasten und hämmerte die Rhythmen eines Jazz in den leeren Saal. Franz Krone hielt die Noten in den verkrampften Händen und starrte auf die vor seinen Augen tanzenden schwarzen Punkte und Striche. Von Tosca und Turandot zu Lullaby … Er schluckte krampfhaft und sah zu Gloria hinüber, die ihm zublinkerte. Jackie hieb auf die Tasten und unterbrach dann sein Spiel, um sich am Bein zu kratzen. »Singen wir, oder singen wir nicht?« fragte er. »Dreimal war schon der Einsatz da.«
Und Franz Krone sang. Er gab seiner Stimme eine andere Klangfarbe, er drückte seine wundervolle Stimme herab zum leichten Schwung eines Jazzsängers, zum Hauchen der Töne, zur sentimentalen Weichheit einer Schnulze. Jackie schürzte die Lippen, als Krone begann. Er ging in ein Bluesthema über, Krone folgte ihm, variierend, ohne Noten, und plötzlich ergriff ihn der leichte Rhythmus, die Staccati, dieses motorische Singen, er sang mit Freude, und Jackie vergaß einen Augenblick zu spielen, Gloria saß mit großen, ungläubigen Augen auf einem der Saalstühle, die anderen Musiker des Orchesters ergriffen ihre Instrumente, und aus dem Nichts heraus entstand eine Gesangsnummer, wie sie hinreißender und erfolgreicher nie von Jackie John hätte erdacht werden können.
»Mann!« sagte Jackie John nach dem Gesang. »Mann – Sie sind eine Wucht! Engagiert! Monatlich – was woll'n Sie haben?!«
»Fünfhundert Mark«, sagte Krone schnell. Er wußte noch gar nicht, wie ihm geschah. Gloria Marina hatte ihn umarmt, die anderen Musiker hatten geklatscht. Jackie verdrehte die Augen.
»Fünfhundert?« schrie er. »Ich bin doch kein Armstrong, der solche Gagen zahlen kann! Dreihundertfünfzig!«
»Fünfhundert!« sagte Gloria laut. »Jackie, denk an die Stimme! Uns stehen mit Krone die größten Häuser offen! Er ist seine tausend wert!«
Jackie John schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Idiotisch! Fünfhundert?! Ihr ruiniert die Band!«
Als sie einen Monat später in Wien spielten, hatte Franz Krone seinen Vertrag mit fünfhundert Mark in der Tasche. In einem weißen Jackett, das ihm Jackie mit der Kunst eines Hexenmeisters irgendwoher besorgte, stand er vor dem Orchester im Wiener Central-Café und sang die Schlager des Monats.
An dem ersten Abend in Wien, nach der Vorstellung, gingen Franz Krone und Gloria Marina noch ein wenig spazieren. Sie ließen sich mit einer Taxe hinaus nach Grinzing fahren und wanderten durch die stillen Straßen und über die dunklen Wege am Rande des Wiener Waldes. In Sievering, in der Nähe des Hermannskogels, setzten sie sich auf eine Bank und lauschten auf die zärtliche Musik, die aus den Weinlokalen in die Nacht klang. Gloria lehnte sich an seine Schulter und hatte seine Hand ergriffen. Unbewußt streichelte sie seine Hand, und er empfand es in dieser Stunde beruhigend und fast mütterlich.
»Woher kommst du?« fragte Gloria.
»Warum willst du das wissen?« wich er ihrer Frage aus.
»Du bist kein Mensch, der auf der Straße geboren wurde und am Rande der Straße verreckt.«
»Doch, Gloria. Doch – solch einer bin ich«, nickte er.
Sie schüttelte wild den Kopf. Ihre langen, schwarzen Haare flogen ihm dabei durch das Gesicht.
»Nein! Wer bist du?«
»Franz Krone. Du weißt es doch.«
»Das ist ein Name. Was ist ein Name? Nichts! Du hättest auch Kaiser oder Komma oder sonstwie heißen können. Ich glaube es dir. Aber wer bist du?«
Aus den Weinlokalen klang Zithermusik. Liebespaare bummelten durch den Wiener Wald – vom Kobenzl herüber erklang Blasmusik.
»Ich bin nichts«, sagte Franz Krone leise.
»Wo wurdest du ausgebildet? Du hast doch eine wunderbare Stimme. Du hast schon anderes gesungen als diese dummen Schnulzen. Du kannst mir nichts vormachen! Warum bist du zu uns gekommen? Wie bist du nach Linz gekommen in dieses schreckliche Lokal?«
Franz Krone senkte den Kopf. »Linz«, durchfuhr es ihn. »Ja, Linz. Dort hat mich Gloria gefunden, regelrecht gefunden. Schreckliches Lokal«, sagte sie … »Ich lag auf einer Bank am Rande der Stadt; im Angesicht der Donau, auf einem herrlichen Fleck
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