Ein Mensch wie Du
Abend mit Franz in der Staatsoper und dann sein jähes Verschwinden, das unerklärlicher war als alles, was sie in diesen Stunden nicht zu begreifen vermochte.
Zwei Tage später war Greta Sanden an die See gefahren, nach Timmendorf an der Ostsee. Da es die Nachsaison war, hatte sie ein schönes, großes Zimmer mit einem Balkon zum Meer hinaus erhalten. Der weißgelbe Sand des Strandes war nicht mehr übervölkert. In wundervoller Ruhe konnte sie sich in ihrer Burg vor dem breiten Liegekorb auf dem Bademantel sonnen, und wenn gegen Mittag von der Muschel des Kurgartens aus das Promenadenkonzert erklang und die Töne über den Strand flogen, schloß sie die Augen und genoß es in vollen Zügen die beruhigende Stille des Strandes, die das Rauschen des Meeres unterbrach und sie wie auf Wellen wegtrug aus der lauten Welt in ein Reich sonnendurchwärmter Träume und der Zufriedenheit.
Während dieser Tage in Timmendorf lernte Greta einen jungen Mann kennen, einen Jura-Assessor aus Kiel. Sie begegneten sich beim Tanz auf der Seeterrasse, an einem Abend, der etwas bedeckt war und nach Regen aussah.
Sie tanzten den ganzen Abend miteinander, er bat, an ihrem Tisch Platz nehmen zu dürfen, und dann erzählte er von seinen Fahrten nach Italien, Spanien und Norwegen und seinem Elternhaus, einer Apotheke im Herzen von Kiel.
Er war ein fröhlicher, blonder, lebenslustiger und weitgereister Mann, der zu plaudern verstand und etwas schüchtern bat, Greta wiedersehen zu dürfen, als er sie nach Hause zur Pension brachte und sich an dem Vorgarten des Hauses von ihr mit einer schönen Verbeugung verabschiedete.
Er war so ganz anders als Franz Krone, aufgeschlossen und lustig, ein Mensch auf der Sonnenseite des Lebens, der auch den Mut nicht verlor, wenn es einmal regnete oder gar donnerte und blitzte. Er stand kurz vor seiner Promotion zum Dr. jur. und arbeitete selbst in Timmendorf auf seinem Hotelzimmer an seiner Dissertation über Rechtsprobleme im Kommunalwesen.
Greta Sanden gewann diesen fröhlichen Menschen lieb. Sie wanderten zusammen die Küste entlang durch die schattigen Wälder, sie standen auch an dem hohen Stacheldrahtzaun, der die Ostzone Deutschlands von der Westzone trennt, und blickten hinüber auf die stillen Häuser und den kaum belebten, verödeten Strand der mecklenburgischen Küste, über den nur ab und zu, von einem der Wachtürme kommend, ein Vopo mit umgehängter Maschinenpistole patrouillierte und es vermied, hinüberzublicken auf den fröhlichen, von Menschen wimmelnden und mit bunten Fähnchen geschmückten Badestrand von Timmendorf. Hier stießen zwei Welten aufeinander, und es war Greta, als sei sie eben aus dieser dumpfen, leeren und hoffnungslosen Welt jenseits des hohen Stacheldrahtzaunes gekommen und müsse nach ein paar Tagen dorthin zurück. Bedrückt senkte sie den Kopf.
»Was haben Sie?« fragte der Assessor. »Sie sind plötzlich so traurig. Sie paßt gar nicht zu Ihnen, diese Wehmut. Sie sind ein Mensch, der immer lachen sollte. Wenn Sie lachen, haben Sie Grübchen in den Wangen – wissen Sie das? Das sieht entzückend aus. Sie sind zum Lachen geboren. Und jetzt so traurig? Haben Sie Verwandte in der Ostzone?«
Greta schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen.
»Ich dachte an etwas anderes«, sagte sie leise. Und plötzlich blieb sie stehen, und ihr Gesicht überzog wirkliche Trauer. »Ich glaube, wir sind heute den letzten Tag zusammen …«
»Sie fahren morgen schon ab?« fragte er entsetzt. Seine Bestürzung war ehrlich. Er wollte Gretas Hand ergreifen und etwas sagen, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen, weil sie ahnte, was er sagen würde. Und sie wollte es nicht hören, sie konnte es nicht hören, so schön es sonst gewesen wäre, gerade diesen Worten zu lauschen.
»Wir müssen uns trennen. Es war sehr schön … Ich war wirklich fröhlich – Sie haben mir die wenigen Tage Glück gebracht. Aber jetzt, wo Sie etwas sagen wollen und ich weiß, was es ist, müssen wir auseinandergehen.«
»Aber warum denn, Greta? Ich …«
Sie hob die Hand. »Sprechen Sie nicht weiter, bitte, bitte. Ich möchte die Tage in einer frohen Erinnerung behalten.« Sie gab ihm die Hand, spontan, weit vor sich hingestreckt. »Leben Sie wohl«, sagte sie. »Ich danke Ihnen für alles.«
»Sie … Sie sind – gebunden?« fragte der Assessor leise.
Greta nickte.
»Verheiratet?«
»Noch nicht. Verlobt!«
»Und Ihr Verlobter ist in Köln?«
Greta zögerte mit der Antwort, dann nickte sie. »Ja,
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