Ein Mensch wie Du
Kinderwäsche verkaufen, sondern arbeitete in Deutz bei den Klöckner-Humboldt-Werken als Lageristin und verdiente mehr bei einer geregelten und schönen Arbeitszeit. Des Abends hatte sie in diesen eineinhalb Jahren Zeit genug gehabt, ihr Studium an der Volkshochschule fortzusetzen und auch den Klavierunterricht weiter zu nehmen! Sie spielte jetzt schon recht gut, die Sonaten Beethovens oder die Nocturnes von Chopin machten ihr keine Schwierigkeiten, auch Opernmelodien spielte sie, selbst dann, wenn diese sie immer ein wenig traurig stimmten. In diesen eineinhalb Jahren war der Schmerz um Franz Krone etwas abgeklungen. Sie hatte trotz aller Bemühungen, in die sich auch Professor Glatt einschaltete, nichts mehr von ihm gehört … Er war verschollen, untergegangen in der grauen Masse der Menschen, vielleicht unbekannt verhungert und begraben in der Ecke irgendeines Friedhofes. Ein Unbekannter, dessen Grab von Unkraut überwuchert war und den man später umbettete in das Massengrab alter Knochen, um Platz zu haben für andere Tote.
Ganz zu glauben vermochte sie allerdings nicht, was Professor Glatt vermutete: Franz hätte sich in einem Anfall nervlicher Zerrüttung irgendwo das Leben genommen. Sie wußte, wie sehr er am Leben hing und daß er die Blumen und die Schönheit der Natur zu sehr liebte, als daß er alles von sich werfen konnte.
So war Franz Krone für Greta Sanden eine wehe Erinnerung geworden, ein Schmerz, der langsam in ihrem Inneren verklang, denn das Leben ging weiter, auch ohne Franz Krone, es blieb nicht stehen, um mit Greta zu trauern. So hatte sie auch nach einem etwas langgezogenen, zähen Briefwechsel endlich der Bitte des Assessors nachgegeben, mit dem sie in Timmendorf bekannt geworden war, und sich mit ihm verlobt. Sie war mit ihm zu seinen Eltern gefahren, und sie hatte ihnen alles erzählt. Die Mutter verstand sie, und sie meinte, daß es die Aufgabe ihre Sohnes sei, sie diesen Kummer vergessen zu lassen, und daß vielleicht die Zuneigung der jungen Menschen zueinander auch einmal die Erinnerung an den großen Schmerz verblassen lasse. Sie waren dann allesamt mit dem Wagen des alten Herrn in die Holsteinische Seenplatte nach Plön gefahren, wo die Verlobung in engstem Kreis gefeiert wurde und der Assessor Greta den Ring an den Finger steckte.
Kurz darauf bezog Greta in Lindenthal ihre kleine Wohnung, die sie sich für ihre ersparten fünfzehnhundert Mark gekauft hatte. Die Frage nach einer Heirat schob sie immer wieder hinaus. »Wir haben ja noch Zeit«, sagte sie immer, wenn ihr Verlobter das Thema anschnitt. »Ich will dich nicht arm wie eine Kirchenmaus heiraten. Ich will mir meine Aussteuer selber schaffen. Wir sind ja noch jung …« Und der Assessor wußte, daß es vergeblich war, dagegen zu sprechen – er schickte sich darein und kam jeden Samstag von Duisburg, wo er in einem Stahlwerk als Rechtsbeistand beschäftigt war, nach Köln, um mit Greta das Wochenende zu verleben. Seine Doktorarbeit hatte er beendet … Es würde nicht mehr lange dauern, bis er das Dr. jur. vor seinen Namen setzen konnte.
An einem der Abende nun, die Greta zu Hause unter der Stehlampe verbrachte, auf die Couch gekuschelt und lesend, fiel ihr Blick auf die Notiz, daß der berühmte Tenor Francesco Corani in München ein dreitägiges Gastspiel geben würde. »Seine Stimme ist eine Mischung von Carusos baritonaler Gewalt und Giglis unvergleichlicher Süße – ihn zu hören ist die Erfüllung der Opernmusik«, schrieb der Essayist etwas überschwenglich. »Coranis Tenor ist ein Naturereignis wie etwa der Niagarafall oder Ebbe und Flut. So unwahrscheinlich schnell sein Stern am Musikhimmel aufging, so berechtigt ist die Annahme, daß eine solche Stimme seit Menschengedenken noch nicht auf einer Opernbühne gestanden hat!«
Greta Sanden las diesen Artikel wie jeden anderen in der Zeitung. Nur einen kurzen Augenblick dachte sie dabei an Franz. Hatte man nicht auch von ihm gesagt, er würde jeden Sänger übertreffen? Sie blätterte um und las einen anderen Artikel, und noch während sie las, war der Name Francesco Corani wieder vergessen. Sie würde ihn auch nicht anhören, denn an dem Abend, an dem er in München sang und die Sender ihn übertrugen, war ihr Verlobter in Köln, und sie wollten zusammen einen neuen Film in den Hahnentorlichtspielen besuchen.
So ging der Name Corani an Greta vorbei wie jeder andere Name, der ohne Interesse für sie war. Sie spürte nicht, wie ihr das Schicksal die Hand bot und
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