Ein Mensch wie Du
die Rampe treten und sich immer wieder verbeugen.
Dr. Fischer strahlte. Er saß in der Loge neben dem bayerischen Ministerpräsidenten und war im tiefsten Grunde seines Herzens glücklich. Professor Bucher hatte sein Frackhemd durchgeschwitzt und stand im Dunkel des Orchesterraumes, schwer atmend und müde.
Bevor sich nach dem Begeisterungssturm der Andrang zu den Garderoben ergoß, ließ sich ein Mann fast allein seinen Mantel geben. Er war ein kleiner, etwas dicklicher alter Herr mit einer grauen Löwenmähne und einer blitzenden Goldbrille. Er ließ sich seinen pelzgefütterten Mantel reichen und nahm dann vor der Oper eine Taxe.
»Zum Karlstor«, sagte er.
Dort, in der großen Weinprobierstube, setzte er sich an einen der hölzernen Tische und bestellte sich einen alten, goldgelben und fast sirupartigen Tokaier.
Er hob das Glas gegen das Licht und sagte leise: »Auf dein Wohl, Franz Krone.« Dann trank er das Glas bedächtig leer und schmunzelte vor sich hin.
Auch Professor Glatt war an diesem Abend glücklich …
Greta Sanden und ihr Verlobter, der Assessor, waren an diesem Samstagabend nicht ins Kino gegangen, wie sie es sich vorgenommen hatten. Sie saßen in der kleinen Wohnung Gretas auf der Couch unter der Stehlampe und hörten sich die Radioprogramme an. Greta machte zwischendurch in der Kochnische, die nur durch einen Plastikvorhang von dem Wohnzimmer getrennt war, das Abendessen fertig, während der Assessor in einem Roman blätterte, den er auf dem Teetisch gefunden hatte.
Um acht Uhr begann die Durchsage in sieben Sprachen aus München. Der Assessor beugte sich etwas vor und drehte das Radio lauter. »Greta!« rief er. »Die Opernaufführung aus München beginnt. Mach schnell und setz dich zu mir!«
»Welche Oper?« rief Greta aus der Küche zurück.
»›Troubadour‹. Hast du denn nicht gelesen, daß Francesco Corani und Sandra Belora singen?«
Greta legte das Messer hin, das sie gerade in der Hand hielt, um ein Brötchen mit Butter zu bestreichen. Der Name Corani sagte ihr nichts, aber Sandra Belora gab ihr einen kleinen Stich ins Herz. »Sie hat einen weißen De-Soto-Wagen«, dachte sie plötzlich. »Und Franz' Aktentasche, die ich ihm in Köln kaufte, lag auf dem Sitz. Und sie gingen in die Oper, lachend, sich unterfassend, während ich in der Haustür gegenüber stand … – Ich komme gleich«, sagte sie tapfer. Aber sie richtete das Abendessen nicht weiter an, sondern lauschte auf die Sprecher des Rundfunks, die die Opernaufführung ansagten. Zuerst in deutsch, dann englisch, dann französisch, italienisch, spanisch, schwedisch und norwegisch. Und immer wurde der Name Sandra Belora genannt, bei dem Greta die Lippen zusammenbiß und die Stirne runzelte.
Als die Ouvertüre aufklang, kam sie ins Zimmer und setzte sich still in eine Ecke der Couch. Der Assessor hatte sich zurückgelehnt und genoß den Zauber der Verdischen Musik.
Die Stimmen Fernandos und des Soldatenchors im ersten Bild brausten durch das stille Zimmer. Greta hatte aus dem Büfett eine Flasche Wein geholt und goß ihn gerade in die Gläser, als das zweite Bild begann mit dem Ständchen des Manrico. Bei dem ersten Ton der Stimme Sandra Beloras hatte sie mit dem Eingießen gezögert, jetzt, als der wundervolle Tenor aufklang, begann ihre Hand vor Aufregung zu zittern, und sie vergoß den Wein auf die Tischdecke.
»Was hast du?« fragte der Assessor erstaunt.
Greta schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte sie leise. »Gar nichts …«
Sie hatte den Kopf vorgestreckt, über ihr bleiches Gesicht lief ein Zucken. »Das ist doch nicht möglich«, durchfuhr es sie zitternd. »Das ist doch Wahnsinn, das kann doch nicht sein … Das ist Franz' Stimme … Sie muß es sein – ich kenne ihre Eigenheiten viel zu gut; zu oft habe ich ihn gehört, wenn er übte oder wenn er für mich ganz allein auf seinem Zimmer seine Opern sang. Er fragte mich dann immer: ›War es gut?‹ Und wenn ich nickte, küßte er mich glücklich.« Sie hielt den Atem an, weil der eigene Atem sie plötzlich störte … Da – da war es wieder, dieser kleine Schluchzer beim Ansetzen eines hohen Tones nach einer Fermate … Das war eine Eigenheit von Franz, die sie sonst noch nie gehört hatte und die seiner Stimme etwas Wehmütiges gab, jene ›Träne des Gesanges‹, die die Hörer immer wieder begeistert.
Graf Luna trat auf. Sein gewaltiger Bariton erfüllte die Szene, Manrico sprang auf die Bühne, das große Streitterzett schien alle Mikrophone zu
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