Ein Mensch wie Du
für einen Abend dreitausend Mark geboten, Sandra Belora hatte sich bereit erklärt, an diesem Abend ohne Gage zu singen. Nichts stand im Weg, auch München in den seltenen Genuß einer einmaligen Stimme zu bringen … Am 12. Mai 1954 sollte das Gastspiel sein. Der ›Troubadour‹ von Verdi. Für die Rolle des Grafen Luna hatte Dr. Fischer Kammersänger Jan Bertoll aus Berlin verpflichtet, den Fernando sang Kammersänger Hans Haller, am Pult würde Professor Bucher stehen. Die Theaterkritiker ganz Deutschlands würden anwesend sein, der Rundfunk, das Fernsehen, fast sämtliche europäische Sender.
Der Vertrag war abgeschlossen. Caricacci hatte ihn gegengezeichnet, er war rechtskräftig – nur Francesco Corani wußte nichts davon. Immer wieder hatte Caricacci eine Gelegenheit gesucht, ihm von diesem Vertrag zu erzählen und ihn zunächst schonend darauf vorzubereiten, aber immer wieder war er zurückgewichen und hatte den Vertrag gefaltet in seine Brusttasche zurückgeschoben.
»Sprich du mit ihm, Sandra«, sagte er einmal. »Du kannst ihm das besser zwischen zwei Küssen beibringen. Frauen können das! Sie können einen Mann von den unsinnigsten Dingen so überzeugen, daß sie in den Augen des Mannes einen Sinn bekommen! Erzähl ihm von dem Vertrag …«
»Er wird mich anschreien!« Sandra Belora schüttelte den Kopf. »In letzter Zeit schreit er immer so! Hast du das noch nicht gemerkt? Bei jeder Kleinigkeit, kracht, explodiert er! Dann brüllt er, daß die Wände zittern. Ich habe manchmal Angst vor ihm!«
»Es sind die Nerven, Sandra. Er braucht Ruhe! Nach diesem Jahr fahren wir alle zusammen auf eine stille Insel und tun nichts als schlafen, essen, trinken, dösen und wieder schlafen.« Caricacci lächelte breit. »Bei dir wird ja das Programm noch um die Liebe erweitert …« Er holte den Vertrag aus der Tasche und hielt ihn der Belora hin. »Willst du es ihm beibringen?«
»Gib her.« Sie nahm die Papiere und steckte sie in ihre Tasche. »Ich will sehen, wie ich es mache. Aber wenn er mich anschreit, schicke ich ihn zu dir!«
Und so blieb der Vertrag in Sandras Tasche noch einige Wochen liegen, bis sich eines Nachmittags die Gelegenheit ergab, von ihm zu sprechen.
Sie gastierten in Neapel und waren am Nachmittag hinübergefahren nach Capri. Von der Piazzetta und dem Haus San Michele des Arztes Axel Munthe waren sie hinunter zum Bootsstrand gestiegen und ließen sich hinausrudern in die Nähe der Blauen Grotte. Dort sprangen sie in das unwirklich blaue Wasser und schwammen zu einer flachen Klippe hin, wo sie sich emporzogen und hinlegten, während das Boot mit dem capresischen Fischer hin- und herfuhr und auf sie wartete.
Sie lagen lang ausgestreckt in der Sonne und ließen sich braten. Sandra hatte ihren schmalen Kopf mit den nassen, schwarzen Haaren, die eng um ihre Stirn klebten, auf den Arm Francescos gelegt und hielt die Augen geschlossen, während sie mit der Hand über seine behaarte Brust strich.
»Du?« sagte sie nach einer langen Zeit des Schweigens leise.
»Hm?«
»Denkst du noch manchmal an Deutschland?«
Francesco Corani blinzelte in der Sonne. Um die Klippe rauschte das Meer und warf die Wellen mit weißem Gischtschaum an den Felsen empor.
»Warum?« fragte er.
»Mir fiel es eben so ein.« Sandra Belora räkelte sich. Die alte Taktik der Frau, auf Umwegen zum Ziel des Gespräches zu kommen, brach auch bei ihr durch. »Ich denke manchmal daran, wie wir uns kennenlernten. Damals – bei Professor Glatt in Köln. In der Musikhochschule am Rhein. Weißt du es noch?«
»Hm …« Es klang ein wenig ernster als das erstemal, als er jetzt brummte. Sandra schielte auf die Linie seines Gesichtes, die dicht vor ihren Augen in dem blauen Himmel lag.
»Schon damals warst du ein großer Sänger. Und dann München …«
Corani drehte den Kopf zu ihr herum. »Schweig von München!« sagte er hart.
Sie kuschelte sich erschreckt an ihn und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Wir waren damals sehr glücklich in dem kleinen Hotel bei Wolfratshausen …«
»Du weißt den Namen noch? Ich habe ihn längst vergessen.«
»Ich vergesse nie, wo ich glücklich war.« Sie drückte sich an ihn, er spürte die Wärme ihres Körpers trotz der brennenden Sonne und des salzigen Gischtes, der über sie hinwegstob. »Ich möchte es gern wiedersehen, jetzt, wo alles so anders ist …«
»Ich möchte nicht mehr nach Deutschland.« Corani richtete sich auf, der Kopf Sandras sank auf den Felsen zurück, ihre
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