Ein Mensch wie Du
die Möglichkeit gab, mit einer Zeile, einem Anruf, einem Fahrschein nach München ihrem Leben einen anderen Sinn zu geben.
Sie legte die Zeitung aus der Hand und schob den Schirm der Stehlampe etwas zur Seite. Vom Radio herüber tönte leise Tanzmusik. Sie legte den Kopf in die Kissen zurück und schloß die Augen. Sie war müde, und die leise Musik trug sie hinüber in das Traumreich, von dem Goethe sagte, es sei allzeit ein getreuer Freund.
Der Empfang in München war ein wenig dramatischer als die Wirkung der Zeitungsnotiz auf Greta Sanden.
Intendant Dr. Fischer hatte wieder seine Gastzimmer herrichten lassen. Das große weiße Haus in Grünwald glich einem Bienenstock. Kurz vor Ankunft der Wagen, mit denen Corani, Sandra Belora und Professor Caricacci vom Hauptbahnhof abgeholt wurden, erlosch die rege Tätigkeit, und die Villa lag empfangsbereit unter einer bläulichweiß schimmernden Schneedecke …
An jenem Nachmittag nun rollten die Wagen vor der Villa Dr. Fischers aus. Der Diener öffnete die Tür, und Sandra wirbelte in ihrem dicken Pelz in die Halle.
»Fischerchen!« rief sie begeistert. »Hier sind wir!« Sie flog dem Intendanten um den Hals und küßte ihn auf die Wange. Dann drehte sie sich um und zeigte auf einen älteren Mann, der lächelnd in der Tür stand und dem Diener seinen Ulster abgab. »Das ist Professor Caricacci.«
Dr. Fischer trat dem Italiener entgegen mit weit ausgestreckten Händen. »Endlich lernen wir in Deutschland auch den Entdecker der Stimmwunder kennen.« Er drückte Caricacci die Hand. »Wissen Sie, wie man Sie in der Fachwelt nennt? Den Mann mit dem goldenen Blick! Denn was Sie entdecken, ist immer Gold in der Kehle!« Dr. Fischer sah sich um und schüttelte den Kopf. »Wo haben Sie denn unseren Wundertenor?«
»Ich glaube, er steht draußen bei dem Diener.« Caricacci lächelte geheimnisvoll. »Sie werden einen Schlag bekommen, Dr. Fischer.«
Der Intendant winkte ab. »Kann ich mir denken. Die große Stimme ist klein und kugelrund. Ich kenne das von Caruso und Gigli her … Mich erschüttert nichts.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Francesco Corani trat in die Halle.
Stumm, versteinert, mit weit aufgerissenen Augen sah ihn Dr. Fischer an. Sandra wollte etwas vermittelnd sagen – aber Caricacci winkte ihr heimlich ab.
Corani blieb an der Tür stehen und sah seinerseits Dr. Fischer stumm an. So standen sie sich eine Weile gegenüber, ehe Dr. Fischer das erste Wort fand. »Sie?« sagte er leise, gedehnt.
»Ja.«
»Sie sind – Francesco Corani?«
»Leider.« Corani verbeugte sich. »Ich bin gekommen, Ihnen die fünfzehntausend Mark Konventionalstrafe zu zahlen.«
Dr. Fischer schluckte. Er wandte sich an Caricacci und schüttelte den Kopf. »Es ist mir, als habe ich einen bösen Traum«, sagte er schwach. »Franz Krone ist Corani? Krone – Corani – ich hätte es mir eigentlich zusammenreimen können. Mein größter Theaterskandal …«
»Franz Krone ist vergessen, Herr Intendant.« Caricacci rieb sich aus Verlegenheit die Hände. »Er ist praktisch gestorben. Heute steht Francesco Corani vor Ihnen, dem die Welt zu Füßen liegt. Das allein sollten Sie sehen. Die Vergangenheit ist tot.«
»Selbstverständlich …« Dr. Fischer schüttelte den Kopf, als könne er es noch immer nicht begreifen. Er trat auf Corani zu und reichte ihm die Hand. »Seien Sie mir willkommen.« Ein schwaches Lächeln überflog sein Gesicht. »Ich habe Ihnen Ihr altes Zimmer gegeben … Hoffentlich ist die Erinnerung nicht stärker, als Sie wollen.«
»Keineswegs.« Corani drückte die dargebotene Hand. Über sein braungebranntes, etwas voller gewordenes Gesicht zog der Schein ehrlicher Freude. »Sie sind mir nicht mehr böse, Herr Dr. Fischer?«
»Ihnen, Maestro Corani? Wie könnte ich? Sie sind zum erstenmal mein Gast. Aber diesen Franz Krone könnte ich noch heute erwürgen. Sie wissen gar nicht, was alles geschah, nachdem er verschwunden war. Ich war lächerlich gemacht worden und hatte alle Mühe, meine Position als Intendant zu behalten. Vor allem eine Dame machte mir eine Hölle heiß, sie tobte und schrie, brach alle Verträge und zerschlug mein halbes Büro in einem Anfall von Tobsucht. Sie kennen die Dame?«
»Fischerchen …«, sagte Sandra sanft. »Nicht mehr davon sprechen. Bitte – bitte –«
Caricacci lachte plötzlich laut auf und bog sich. Er lehnte sich an die Wand und lachte, lachte.
»Welch ein Drama!« japste er. »Welch eine Komödie. Besser
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