Ein Mensch wie Du
als von Goldoni und jede Rossini-Oper!« Er trat zwischen die verlegen Herumstehenden und machte eine große, alle umfassende Handbewegung. »Kinder, reicht euch die Hände, vergeßt und denkt daran, daß morgen der ›Troubadour‹ der größte Erfolg der Münchener Oper sein soll! Und jetzt – Herr Dr. Fischer, nehmen Sie es mir nicht übel –, jetzt habe ich einen Bärenhunger.«
Dr. Fischer reckte sich befreit, er klopfte Corani auf die Schulter und legte dann den Arm um ihn. »Ob Corani oder Krone – es ist ja alles wurscht, wie der Bayer sagt. Die Hauptsache ist, Sie singen dieses Mal so, daß wir alle den ersten Reinfall wirklich vergessen. Und nun, liebe Gäste – hinein in das Speisezimmer … Ich habe erwartet, daß ihr alle einen Bombenhunger habt!«
Ähnlich wie Dr. Fischer erging es Professor Bucher, als er den Orchesterraum betrat und sich an sein Dirigentenpult setzte. Er sah Franz Krone auf der Bühne stehen und legte entgeistert den Taktstock hin. »Ich kann nicht dirigieren«, sagte er in die Stille hinein. »Ich leide plötzlich an Halluzinationen!« Auch Regisseur Vandenbelt, der heute frei hatte, da den ›Troubadour‹ Oberspielleiter Sandor, ein Ungar, inszenierte, starrte verblüfft auf die Bühne!
»Das ist Corani?« sagte er zu Dr. Fischer, der neben ihm saß. »Wenn das man gut geht!«
»Wer in der Metropolitan sang und in Rom, in der Scala und der Covent Garden, der kann auch in München singen, Vandenbelt.«
»Man sollte es annehmen.« Vandenbelt putzte sich die Nase. »Ich möchte nicht an Sandors Stelle sein.«
»Corani ist nicht Krone! Der Mann hat eine gründliche Wandlung durchgemacht. Es wird interessant sein, seine Lebensgeschichte zu erfahren.«
Die Lichter erloschen. Ohne Ouvertüre, die nicht geprobt zu werden brauchte, begann der erste Akt. Nach zwei Stunden, eigentlich schon nach dem Ständchen des Troubadours und erst recht nach der Stretta, die Dr. Fischer vor Entgeisterung über die Gewalt der Stimme fast starr machte und Professor Bucher mit dem Taktstock an das Pult trommeln ließ, wußte jeder, daß diese ›Troubadour‹-Aufführung in die Geschichte der Staatsoper München eingehen würde.
Die Verständigungsprobe – wie man eine Probe mit fremden Künstlern nennt, damit das Zusammenspiel mit den ansässigen Künstlern ohne Fehler abläuft – verlief ohne Zwischenfall. Professor Bucher legte seinen Taktstock hin und rannte durch den Gang unter der Bühne hinauf in die Kulissen und stürzte auf Francesco Corani zu.
»Krone!« rief er. »Krone – ich müßte Sie ohrfeigen, daß Sie damals nicht so gesungen haben! Was war nur in Sie gefahren, Mensch?!«
»Krone?!« Corani sah sich erstaunt um. Die anderen Sänger grinsten. »Sie verwechseln mich, Herr Generalmusikdirektor. Ich bin Francesco Corani.«
Professor Bucher schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Junge, mach mich nicht ganz verrückt!« Er umarmte Corani und nickte immer wieder wie eine Spielpuppe mit einem Spiralhals. »Aber es ist schön, daß du zurückgekommen bist, daß du Deutschland nicht vergessen hast.«
Am 19. Februar 1954 fand das Gastspiel Francesco Coranis statt, nicht am 12. Mai, wie zuerst geplant. Alle europäischen Sender übernahmen die Aufführung, die Kunstkritiker aller maßgebenden Zeitungen und Zeitschriften saßen in der Oper, die bayerische Regierung, Vertreter der Bundesregierung, die hohe Geistlichkeit, die Konsuln und diplomatischen Vertreter in Bayern. Es war ein glanzvoller Abend mit wertvollen Abendroben der Damen und neuesten, nachtblauen Fräcken der Herren, kostbaren Geschmeiden und einem Aufgebot berühmter Namen aus Kunst, Literatur, Wissenschaft und Film. Die drei Abende waren ausverkauft, Karten wurden zu Preisen gehandelt, wie sie selbst in den besten Zeiten des Münchener Schwarzmarktes nicht bekannt waren. Die Wochenschau hatte einen Platz neben dem Orchester eingenommen, das Fernsehen fuhr auf einem geräuschlosen Schlitten vor der Rampe des Orchesterraumes hin und her.
Der ›Troubadour‹ von Verdi mit Francesco Corani und Sandra Belora.
Als der Vorhang fiel über das wundervolle Miserere, erhoben sich die zweitausend Zuschauer und brachen in einen Jubel aus, wie er in der Münchener Oper noch nicht erklungen war. Und immer wieder verbeugten sich Corani und Sandra, bis der eiserne Vorhang sich senkte und der Lärm des Applauses nur noch schwach auf die Bühne tönte. Aber auch dann noch mußten sie durch die kleine Tür des ›Eisernen‹ an
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