Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)
noch überrascht von dem, was Ethan im Garten zu mir gesagt hatte. All die Jahre hatte ich geglaubt, ich wäre ihm egal gewesen, doch nach diesen Worten zu urteilen, hatte er mich genauso vermisst wie ich ihn. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen oder maßlos enttäuscht sein sollte.
Ich trocknete mir das Gesicht mit einem Handtuch ab und merkte, wie Panik in mir hochstieg. Meine Gedanken kreisten viel zu sehr um Ethan und zu wenig um Joe, der in einer Stunde wieder zurück sein würde. Ich hätte mich nicht so betrinken dürfen. Ich wusste, wie gefährlich das werden konnte, aber ich hätte den Abend in nüchternem Zustand nicht überstanden. Jetzt versuchte ich, mich auf den Nachtisch zu konzentrieren, bestäubte die Baisers mit Puderzucker und goss die Schokoladensoße in zwei kleine Silberkännchen. Selbst wenn ich mich anstrengte, meine Gedanken zu kontrollieren, wanderten sie doch immer wieder zu Ethan und unserer ersten Begegnung zurück.
»Ich mag dein Lachen«, waren die ersten Worte gewesen, die er zu mir gesagt hatte. Mehr brauchte es nicht. Ich wusste sofort, dass er das Ying zu meinem Yang war, das Salz zu meinem Pfeffer, die Anemone zu meinem Anemonenfisch. Er war es, der Richtige, es gab für mich nicht den Hauch eines Zweifels. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich darauf gewartet, dass mein wahres Leben beginnen würde. Ich hatte alle Vorfilme an mir vorbeiziehen lassen und mich gefragt, ob der Hauptfilm je beginnen würde. Doch als wir uns über meine Schwester Daisy bei einem Winterpicknick im Greenwich Park begegneten, war es ein Moment in Technicolor.
Daisy und ihre Freunde trafen sich jedes Jahr im Dezember zu einem Weihnachtspicknick, um eingemummt in Thermounterwäsche, Mützen, Handschuhe und Schals, Mince Pies mit frischer Sahne zu essen, Glühwein aus Thermosflaschen zu trinken, Schlagball und Fußball zu spielen und sich im Grunde genommen aufzuführen wie Verrückte. Ethan gehörte zu Daisys Freundeskreis. Als ich dazukam, stellte sie ihn mir zwinkernd vor, was meine Schwester, eine Immobilienverwalterin, die für riesige Etats zuständig ist und viele Mitarbeiterteams unter sich hat, nie tat, weshalb ich nervös lachte. Dann musste sie noch mal los in die Stadt, ein Geschenk einkaufen, und versprach, später wieder zurückzukommen.
Als sie dann tatsächlich wieder auftauchte, nach gefühlten fünf Minuten, hatten Ethan und ich mit niemand anderem gesprochen außer miteinander. Wir mochten die gleichen Sachen: frittierte Jakobsmuscheln vom Petticoat Lane Market, Kochen, Romane von Murakami, das nie aufhörende Gebrumme des Londoner Lebens, Musik von Jack Rose, Rezeptbücher und Tagesausflüge nach Brighton, um dort heiße Pommes am Strand zu essen. In diesem Gespräch gab Ethan mir das Gefühl, der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt zu sein. Nach dieser einen Stunde wusste ich bereits, wie mein Brautkleid aussehen würde, hatte unseren sechs Kindern Namen gegeben und eine romantische Inschrift für unseren gemeinsamen Grabstein ausgesucht. Als wir Schlagball spielten, ging die wie rosa Marmor aussehende Sonne am blassvioletten Himmel langsam unter. Unser Atem hinterließ kleine Wölkchen in der Luft, und Ethan und ich hatten nur Augen füreinander. Ich lief die Runde damals wie Black Beauty.
»Lass uns weggehen!«, sagte er danach, die Hände auf den Oberschenkeln, um Luft zu holen, die Wollmütze tief über die Ohren gezogen. »Nur wir beide.«
Ich zögerte keine Sekunde.
Mit Ethan auszugehen war eine völlig neue Erfahrung für mich, denn er gehörte, gesellschaftlich gesehen, einem anderen Sonnensystem an. Er besaß mehr Energie, Ausstrahlung und Lebensfreude als jeder andere, der mir je zuvor begegnet war. Es schien mir, als wäre sein Leben ein einziges langes Vorsprechen für die künftige Hauptrolle. Nach dem Picknick nahm er mich mit in eine Bar, in der er absolut jeden kannte. Er führte unter großem Applaus sein Markenzeichen vor, einen Kopfstand, gab einer riesigen Anzahl von Menschen einen aus, erzählte Anekdoten über sein Leben im Feinkostladen, überschüttete die Leute mit Komplimenten und lud sie ein, nach der Sperrstunde noch auf einen Drink bei ihm vorbeizuschauen.
Als die Tür der Bar dann geschlossen war, bat er den Wirt, die Musik aufzudrehen, überredete mich irgendwie (und ich weiß wirklich nicht, wie), mit meinen High Heels auf der Theke zu tanzen und meine Interpretation von »Light My Fire« zum Besten zu geben. Ich kann mich schwach an
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