Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)
nicht besser ruhen lassen?«
»Ich muss wissen, was passiert ist«, antwortete ich.
Wir hatten die Hauptstraße verlassen und gingen eine Seitenstraße hoch – wir waren immer noch in Holland Park –, an deren Ende wir auf ein verschlossenes schmiedeeisernes Tor stießen, hinter dem die wie makellose Kunstwerke aussehenden Gemeinschaftsgärten der riesigen Stadthäuser lagen. Die Spannung in der Luft war unerträglich. Ich musste sie durchbrechen.
»Ich finde, sie könnten ihren Reichtum ein bisschen teilen«, sagte ich. »Wäre es wirklich so schlimm, wenn sie ihre Gärten nicht abschließen würden, sodass die Kinder aus der Umgebung darin spielen könnten?«
»Nun«, meinte Ethan. »Wenn man keinen Schlüssel hat, kann man entweder einbrechen oder rüberspringen. Komm, lass uns das machen!«
»Und was, wenn das jemand mitbekommt und uns zur Rede stellt?«, gab ich zu bedenken. »Die wissen doch, dass wir hier nicht wohnen.«
»Werden sie schon nicht tun«, antwortete er. »Wir sind hier in London. Da spricht man nicht miteinander, außer man kennt sich. Viele dieser Anwesen sind wahrscheinlich Zweitwohnungen für Millionäre, die gerade irgendwo in der Karibik einen Cocktail schlürfen. Sollte uns jemand ansprechen, fragen wir einfach, ob er uns einen Fünfziger wechseln kann. Dann glauben sie, wir sind von hier, und lassen uns in Ruhe.«
Wir schauten uns an, und er verschränkte die Hände, um eine Räuberleiter für mich zu machen.
»Los geht’s«, sagte er, deutete mit dem Kopf auf seine Hände und beugte sich vor zu mir. Er war offensichtlich nervös, denn er zitterte, weshalb ich mir noch mieser vorkam, und so versuchte ich, die Stimmung etwas aufzuheitern.
»Du wirst mich ja wohl nicht etwa auf die andere Seite befördern und dann hierbleiben, oder?«, fragte ich und zog die Augenbrauen hoch. »Weil ich dann schreien werde und …«
»Nein, mach ich nicht«, versicherte er, während ich mich abmühte, in seine Hand zu steigen und mich rittlings auf die Steinmauer setzte, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand vorbeiging. Ich zog die Träger meines Overalls fest, die locker auf meinen Schultern saßen, sprang auf der anderen Seite hinunter und landete mit einem leisen Aufschrei in den Zweigen eines Hortensienbusches.
»Was um alles in der Welt mache ich nur hier?«, murmelte ich und zog einen kleinen Zweig aus meinem Haar. »Ethan?«
»Ich bin weg«, rief er von der anderen Seite der Mauer. »Bis später.«
»Sehr witzig«, erwiderte ich und schaute mich um. Hinter mir befand sich eine riesige Rasenfläche, an die sich Häuser beziehungsweise Wohnungen anschlossen. Bei einigen Anwesen standen die Terrassentüren im Erdgeschoss offen, sodass ich in die opulenten Heime hineinsehen konnte. Von irgendwoher drang Opernmusik zu uns herüber, und ich hörte das herzhafte Lachen von Leuten, die in einem der Gärten um einen Tisch herumsaßen.
»Jetzt komm!«, rief ich Ethan verschwörerisch zu. »Komm rüber und sprich mit mir!«
»Ich komme erst, wenn du mir eine Frage beantwortet hast«, erwiderte er.
»Was?«, fragte ich ungläubig. »Jetzt mach, Ethan. Das ist lächerlich. Du bist derjenige, der hier ein paar Fragen zu beantworten hat.«
Ich trat aus dem Hortensienbusch heraus auf heruntergefallenes, raschelndes, trockenes Laub. Ethan stemmte sich die Mauer hoch, setzte sich darauf, ließ seine Beine baumeln und schlug rhythmisch mit den Fersen gegen die Steine.
»Du spürst es doch auch, oder?«, sagte er leise. »Du spürst, dass irgendwas zwischen uns ist? Jetzt komm schon, Eve, sag’s! Das stimmt doch, oder? Ich möchte, dass du es zugibst, bevor wir miteinander reden.«
Ich hatte auf diesen Moment gewartet, seit Ethan mich verlassen hatte. Ich hatte darauf gewartet, dass er zurückkommt und mir sagt, er würde mich immer noch lieben, doch jetzt, da der Moment gekommen war, hatte ich das Gefühl, völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten. Mein Herz raste.
»Ich …« Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht …«
»Ich weiß, dass es so ist«, unterbrach er mich. »Gib’s zu, da ist immer noch was zwischen uns. Du kannst es doch auch spüren, oder?«
Ich biss mir auf die Lippe. Bis jetzt war ich auf Nummer sicher gegangen und hatte eine bestimmte Grenze nicht überschritten. Wenn ich jetzt etwas sagen würde, würde ich das, was immer es auch sein könnte, auf eine andere Ebene heben. Ich würde diese Grenze überschreiten.
»Oh Gott, Ethan!«,
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