Ein Mistkerl zum Verlieben
hatte sie kaum noch Fieber gehabt und auch die Halsschmerzen waren soweit erträglich geworden, dass sie mit Kamillentee und Paracetamol kaum noch spürbar waren. Sie richtete sich auf und rieb sich benommen ihre Augen. Draußen im Flur hörte sie Schritte. Mit einem Moment war sie hellwach und der Gedanke, dass Los Angeles das gefährlichste Pflaster der Staaten war, schoss ihr durch den Kopf. Da draußen war jemand, ganz klar. Jemand musste in das Haus eingedrungen sein. Vermutlich hatten die Einbrecher Mark wegfahren sehen und gedacht, es wäre niemand mehr hier. Vicky hörte leise Schritte, die den Flur entlanggingen. Sie schnappte sich ihr Handy und tippte die 911 ein. Dann drückte sie die Ziffern wieder weg und kam sich kindisch vor. Vielleicht hatte Mark etwas vergessen und war zurückgekommen, um es zu holen. Immerhin wollte er mehrere Tage lang wegbleiben. Ja, das musste es sein. Mark hatte mit Sicherheit etwas vergessen und wollte sie nicht wecken. Erleichtert sank sie zurück in die Kissen. Oder war es vielleicht doch ein Einbrecher. Sie ging davon aus, dass Mark nicht wie eine Katze im Haus herumschleichen würde. Er würde mit Sicherheit zwar nicht absichtlich Lärm machen, aber durch die Gänge schleichen wie ein Kind, das etwas ausgefressen hatte und nicht ertappt werden wollte, würde er auch nicht. Oder etwa doch? Immerhin wusste er, dass sie krank war, gut möglich, dass er sie nicht wecken wollte. Die Schritte waren direkt vor dem Schlafzimmer zum stehen gekommen. Vickys Herz blieb fast stehen und gleichzeitig versuchte sie, auszumachen, ob die Schritte von einer oder gar von mehreren Personen stammten. Sie drückte sich in die Kissen und zog die Decke bis zur Nasenspitze. Panisch ließ sie ihre Augen um sich herum über die Decke gleiten und suchte nach einer Waffe. Sie konnte den Einbrecher mit zusammengeknüllten Taschentüchern, einem ausgedrückten Teebeutel oder ihrer mittlerweile ausgekühlten Wärmeflasche k.o. schlagen. Langsam wurde der Türknauf herumgedreht. Ihr wurde schwarz vor Augen, als die Tür sich langsam einen Spalt öffnete. Vermutlich wollten die Einbrecher sehen, ob die Luft wirklich rein war.
„Hey, bist du noch wach?“ Mark steckte den Kopf durch den Türspalt.
Vickys Herz rutschte in die Hose.
„Oh Gott, oh mein Gott, du bist es“, rief sie erleichtert.
„ Ich bin gerade tausend Tode gestorben, weil ich dachte, jemand wäre ins Haus eingebrochen!“
Sie ließ die Decke sinken und richtete sich im Bett auf.
„Was machst du überhaupt wieder hier? Ich dachte, du hättest eine Verabredung!“
„ Hatte ich auch“, Mark kam durch die Tür herein und schloss sie hinter sich. In der linken Hand hatte er eine weiße Plastiktüte und in der Rechten eine größere, braune Papiertüte. Er stellte die beiden Tüten auf der Kommode neben dem Fernseher ab und setzte sich zu Vicky aufs Bett. Für einen kurzen Moment kam sie sich vor wie ein kleines Mädchen, das krank im Bett liegt und Besuch von ihrem Hausarzt bekommt.
„ Und weiter?“
Sie sah ihn neugierig an.
Mark blieb eine Weile still.
„ Weißt du“, begann er dann, „ich habe nach etwa fünfzehn Minuten festgestellt, dass ich keine Lust habe, ein paar Tage mit einer verrückten Nymphomanin zu verbringen, die nicht fähig ist, einen vollständigen Satz auszusprechen. Da dachte ich, ich könnte zurückkommen und dir etwas Gesellschaft leisten. Ich habe ein paar Filme geholt und Burger und Pommes. Ich hoffe, du magst das!“
Vicky war überrascht, nein, überwältigt. Sie war mehr als nur ein bisschen enttäuscht gewesen, als Mark eröffnet hatte, dass er die nächsten paar Tage nicht da sein würde. Nach der vergangenen Nacht hatte sie gehofft, ihm etwas näher kommen zu können, doch als er von seiner Verabredung erzählt hatte, hatte sie resigniert festgestellt, dass ein Mann wie er sich nicht von heute auf morgen ändern würde. Und vermutlich auch nicht von heute auf nächstes Jahr. Und erst recht nicht, wegen einer Frau wie ihr. Sie wusste nicht, wie sie es werten sollte, dass er jetzt zurückgekehrt war. Vielleicht hatte ihn sein Date ja wirklich gelangweilt und es war gar nichts weiter dahinter, als ein bisschen stinknormale Höflichkeit, gepaart mit etwas Dankbarkeit dafür, dass sie ihm vergangene Nacht beigestanden hatte. Oder – einfach schlechtes Gewissen, dass er nicht für sie da war, wenn es ihr schlecht ging, sie ihm aber nicht von der Seite gewichen war, als er sie gebraucht
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