Ein Mistkerl zum Verlieben
Vicky angerufen um ihr seelischen Beistand zu leisten und war umso erstaunter darüber, dass Vicky sich dieses Mal nicht abfällig über Mark äußerte. Sie war gerade erst aus ihrem Liebesurlaub bei Eric zurückgekommen und hatte die vergangenen zwei Wochen kaum Zeit gefunden, ihre Freundinnen anzurufen.
„ Ach, halb so wild. Tief unter der Machohülle steckt tatsächlich ein netter Kerl“, meinte Vicky belanglos. Sie wollte niemandem von dem Test erzählen, den Mark hatte machen müssen, selbst Gloria nicht, die eine ihrer besten Freundinnen war. Und schon gar nicht davon, dass sie und Mark längst nicht mehr so spinnefeind waren, wie zu Anfang.
„ Wir haben uns gestern Abend ziemlich gut unterhalten“, log sie.
„ So?“
„ Ich schätze, ich hätte es schlimmer erwischen können und werde die Zeit hier bestimmt halbwegs unbeschadet hinter mich bringen!“
Gloria stutzte.
„Sag mal…läuft da was zwischen euch? Kelly sagte, ihr habt vor eurer Abreise die Nacht zusammen verbracht!“
„ Kelly hat die Wahrheit wohl dezent verdreht“, fauchte Vicky, genoss die sanfte Brise, die vom Meer zu ihr herauf wehte und ihr Haar zerzauste. Sie saß auf einem Kippliegestuhl auf der Terrasse und blickte aufs Meer hinaus.
„ Wir haben nicht die Nacht, sondern bloß den Abend miteinander verbracht. Wir haben Pizza auf der Terrasse gegessen. Das war’s. Da läuft gar nichts. Ich hab mich einfach in ihm getäuscht. Klar, er ist ein Machoarsch und ein Frauenverbraucher, aber so schlimm, wie ich dachte, ist er auch wieder nicht. Man kann sich ganz normal mit ihm unterhalten und er kennt sogar alle Vokale!“
Sie lachte.
„Schön zu hören. Lass mich dann wissen, wann die Hochzeit ist“, scherze Gloria „wie geht’s dir sonst so im Westen?“
„ Ganz gut soweit – allerdings kratzt mein Hals – ich befürchte fast, ich hab mir eine Erkältung eingefangen“, antwortete Vicky und drückte ihre Mandeln. Ein brennender Schmerz durchzuckte ihren Hals und schon seit einiger Zeit fühlte sie sich etwas fiebrig. Zuerst hatte sie das alles auf die Aufregung der vergangenen Stunden geschoben, doch mittlerweile rechnete sie damit, sich tatsächlich eine Erkältung eingefangen zu haben.
„ Gut, dass du einen Arzt im Haus hast“, witzelte Gloria weiter.
„ Ich lach mich tot!“
„ Dann kann er Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage machen und dich wieder ins Leben zurückholen!“
„ Warum hast du so gute Laune“, fragte Vicky, die ihre sonst eher ernsthaftere Freundin so gar nicht kannte.
„ Ach, Eric hat gestern Abend angerufen – sie versetzen ihn Ende August wieder zurück nach New York!“
„ Hey, Gloria, das freut mich für dich“, sagte Vicky.
„ Du glaubst nicht, wie erleichtert ich bin. Die beiden Wochen, die ich bei ihm war, waren das Paradies auf Erden, doch irgendwie habe ich realisiert, dass so eine Fernbeziehung auf Dauer keinen Sinn macht. Ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, Schluss zu machen.“
„ Es ist also ziemlich ernst mit euch beiden, was?“
„ Sieht ganz so aus“, sagte Gloria und wirkte so glücklich, dass Vicky sie fast durchs Telefon strahlen sehen konnte.
„ Wunderbar, dann kannst du mich ja wissen lassen, wann die Hochzeit ist!“
„ Okay Baby, ich pack mein Zeug zusammen und komme in einer Stunde bei dir vorbei, ja?“
Eine kurze Pause.
„Ja, natürlich bringe ich Champagner mit!“
Mark kam den Flur entlang. Er hatte den Nachmittag in einem Café am Sunset Strip verbracht und sein kleines, schwarzes Buch durchforstet. Den Vorsatz von letzter Nacht, sein Dasein als Lebemann an den Nagel zu hängen, hatte er längst vergessen. Als er am Morgen die Nachricht bekommen hatte, HIV-negativ zu sein, hatte ihm das solchen Auftrieb gegeben, das er die Welle an Leben, die Welle an Adrenalin förmlich seinen Körper hatte durchfluten gefühlt. Als er dann in die Stadt gefahren war, war sein alter Ego, der Macho und Sexgott mit voller Kraft zurückgekehrt und hatte sein nächstes Opfer eingefordert. Carolyn Dexter, Unterwäschemodel mit dem IQ eines zurückgebliebenen Maulwurfs.
Er ging am Arbeitszimmer entlang und sah aus dem Augenwinkel eine Gestalt am Schreibtisch sitzen, die in eine dicke dunkelgraue Daunendecke eingewickelt war. Die Beine der Gestalt steckten in Stricksocken mit Norwegermuster und sie hatte sich einen Schal (Mark fragte sich, wo in Gottes Namen man in L.A. im Sommer einen Schal herbekommen konnte) um den Hals gewickelt.
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