Ein Mörder unter uns
Kaltblütigkeit dazu, jemanden mit einem Wagen umbringen zu
wollen und hinterher mit heiler Haut davonzukommen. Zu vieles kann dabei
schiefgehen — man muß schnell genug fahren, um sicher zu sein, daß der Aufprall
für das Opfer tödlich sein wird, und das bedeutet die Gefahr, beim Ausweichen
im letzten Augenblick gegen eine Mauer, eine Ladenfront oder sonst etwas zu
sausen.
Dann die Kaltblütigkeit, die
beim zweiten Versuch erforderlich war! An die Bühnentür zu klopfen und den
Hausmeister niederzuschlagen, als er öffnet, und zwar so schnell, daß er keine
Gelegenheit findet, das Gesicht zu sehen. Dann ins Theater zu schleichen, auf
die Beleuchterbrücke zu klettern und auf den richtigen Augenblick zu warten,
bevor man diesen Scheinwerfer auf das ahnungslose Opfer hinabfallen läßt — und
hinterher zu fliehen! Kein Amateurkiller hätte je die Kaltblütigkeit, solche
Pläne zu schmieden. Beide Male bedurfte es eines professionellen Mörders, um
die Chancen wahrzunehmen und nicht in Panik zu geraten, wenn die Sache
schiefging .«
»Ich sehe worauf Sie zielen«,
sagte Charlie gereizt. »Aber was, zum Kuckuck, wollen Sie damit beweisen ?«
»Maxine«, sagte ich, »wußten
Sie, daß Babs niemals Süßigkeiten ißt ?«
»Und ob ich’s weiß!« Sie rollte
die Augen zur Zimmerdecke. »Jedermann in unserer Branche weiß es, und alle
Cousinen zweiten Grades aus Arkansas wissen es auch. Sie hat diese Geschichte
schon vor meiner Geburt erzählt !«
»Aber dieser professionelle
Killer«, knurrte ich, »der ausreichend über Babs und das Theater Bescheid
wußte, um den Scheinwerfer zu einer bestimmten Zeit auf einen bestimmten Fleck
auf die Bühne fallen zu lassen, weil Babs dort in einer einzigen Szene des
gesamten Stücks etwa fünf Minuten lang zu stehen hat — der wußte nicht, daß
nicht die geringste Aussicht auf Erfolg mit der vergifteten Schokolade bestand.
»Hm«, sagte Charlie vorsichtig.
»Wie war es denn überhaupt damit ?«
»Die Pralinen wurden nicht
zuvor am Empfang abgegeben und von dort in ihr Zimmer hinauf geschickt«, fuhr
ich fort. »Jemand wußte mit Sicherheit, daß ihr Zimmer leer war, hatte einen
Schlüssel zu ihrer Tür und war völlig davon überzeugt, im Hotel ein- und
ausgehen zu können, ohne bemerkt oder gar deshalb befragt zu werden .«
Maxine schauderte zart. »Sie
entwerfen von dem Betreffenden jedenfalls ein hübsch gruseliges Bild, Rick .« Sie lachte nervös. »Der Mann mit der Tarnkappe, könnte
man direkt sagen .«
»Ihr Köter fraß also von den
Pralinen und starb«, sagte ich. »Und Irv verlor die
Nerven, machte eine große Szene, erklärte, daß kein Mensch in diesem Hotel
seines Lebens sicher wäre; und gleich am nächsten Morgen ging er hin, mietete
ein großartiges Haus und brachte Babs dort mit seiner Sekretärin und zwei
Leibwächtern unter, die er ohne Federlesens angeheuert hatte.« Ich schnippte
mit den Fingern. »Sie können sich darauf verlassen, die Leibwächter sind zwei
Gangster, und wenn ich je einen professionellen Killer gesehen habe, ist Kirch
einer !«
»Wollen Sie damit sagen, daß
diese ganzen Vorkommnisse geradewegs auf den armen alten Irv Hoyt hinweisen ?« dröhnte
Charlie entzückt. »Das ist das komischste, was ich je in meinem Leben gehört
habe .«
»Wann haben Sie ihn zum letztenmal gesehen, Charlie ?« fragte ich und unterdrückte den Impuls, seinen Schädel mit einem Stuhlbein zu
zerschmettern.
»Ich weiß nicht genau .« Er kicherte vergnügt. »Vielleicht vor einem Jahr oder
fünfzehn Monaten.«
»In dieser Zeit kann sich ein
Mensch völlig verändern«, sagte ich, und er war mir noch widerlicher, weil er
mich zwang, in Klischees zu reden, nur damit er mich verstand. »Der Irving Hoyt , den ich gestern abend kennengelernt habe, war ein Psychopath, der schnell auf einen bösen
Zusammenbruch zusteuert. Erinnern Sie sich, was Babs über ihn erzählt hat, wie
sehr er sich verändert habe ?«
»Was wollen Sie damit sagen, Holman ?« Er sah mich mit offenem
Spott an. »Daß der alte Irv versucht, die Frau, die
er einmal geheiratet hat, umzubringen? Die, auf die er immer noch scharf ist?«
»Vielleicht glauben Sie, er
empfindet für sie immer noch dasselbe wie früher — und Babs ist davon
überzeugt«, brummte ich. »Aber ich nicht, Freundchen. Ich habe seine Sekretärin
gesehen — die mit ihm unter demselben Dach wohnt und Nerz und Diamanten trägt,
wie das bei weiblichen Büroangestellten so üblich ist .«
»O ja — Sonia Scott,
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