Ein mörderischer Schatten (German Edition)
auf den abgerissenen Arm eines Piloten, der vor ihrem Haus abgeschossen worden war. Josefine ließ die Hand los und schrie. Sie rannte blind hinaus in die Nacht und schrie immer noch. Wann würde das alles jemals aufhören?
Schwer atmend und nassgeschwitzt fuhr sie aus dem Schlaf hoch. Auch nach Jahren machten ihr diese Träume zu schaffen. Seufzend stand sie auf und machte sich fertig für den kommenden Tag.
Gut gelaunt trug Josefine die Kohlen aus dem Keller. Gleich würde sie sich mit ihrer Freundin Rosemarie treffen und heute Abend würden sie zusammen mit ein paar anderen zum Tanzen gehen. Rosies Bruder würde auch kommen und den fand Josefine mehr als nett. Hätte sie jetzt nur noch die schönen neuen Schuhe, die sie neulich im Schaufenster bewundert hatte, dann wäre alles perfekt. „Tag, Tante Uschi“, ließ Josefine fröhlich verlauten, als sie die Küche betrat. Ihre Mutter saß mit deren Schwester am Essenstisch.
„Tag, Fine“, schniefte Uschi, während sie sich die Nase putzte. Josefine warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu. Helene Ingermann wedelte ihrer Tochter zur Antwort mit einem Brief zu. „Josefine, ich muss mit dir reden“, sagte sie ernst.
Beunruhigt ließ Josefine sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder. „Was ist denn los?“
Ihre Mutter legte den Brief vor sich auf den Tisch. „Der Margot geht es gar nicht gut.“
Josefine warf ihrer Tante einen mitfühlenden Blick zu. „Macht ihr die Schwangerschaft so zu schaffen, Tante?“ Ihre Cousine hatte gleich nach dem Krieg einen Soldatenfreund ihres Bruders geheiratet und wohnte jetzt irgendwo in der Einöde. Ihr Mann war vor ein paar Monaten gestorben, irgendetwas hatte er damals aus Russland mitgebracht, auf jeden Fall war er, seit er aus dem Krieg heimgekehrt war, immer bei schlechter Gesundheit gewesen und hatte es mit der Lunge gehabt. Jetzt saß die arme Margot hochschwanger alleine auf einem Hof im Nirgendwo fest. Kein Wunder, dass es ihr schlecht ging.
Helene befeuchtete sich nervös die Lippen. Josefine zog die Augenbrauen hoch. Dass ihre Mutter so rumdruckste, sah ihr gar nicht ähnlich. „Nun, Josefine“, begann sie schließlich, „die Sache ist die…“, wieder suchte sie nach den richtigen Worten. „Die Tante Uschi und ich, wir haben uns jetzt den ganzen Morgen Gedanken gemacht. Du weißt ja, dass die arme Margot hochschwanger ist. Und sie sitzt da ganz alleine mit ihrem alten Schwiegervater auf dem Hof fest.“ Ihre Mutter warf Josefine einen Blick zu, ehe sie fortfuhr. „Jetzt ist es so, dass der alte Josef, so heißt der Schwiegervater, dass dieser auch krank ist. Bisher hat die Margot ja noch alles mit ihm gemeinsam geregelt bekommen, aber jetzt ist der Alte krank geworden und das Kind kommt bald.“ Helene schob ihrer Tochter den Brief zu. „Lies einmal, wie verzweifelt sie ist.“
Unter dem wässrigen Blick ihrer Tante las Josefine den Brief ihrer Cousine. „Die Ärmste“, ließ sie schließlich verlauten, als sie den Brief gelesen hatte.
„Ja, nicht wahr? Und darum haben wir uns überlegt, dass es eine gute Idee wäre, dich zu ihrer Unterstützung aufs Land zu schicken“, platzte Helene schließlich heraus.
„Was?“ Entsetzt sprang Josefine auf.
„Jetzt mach nicht so eine Schau! Setz dich gefälligst wieder hin.“
„Aber Mama, das kann doch nicht dein Ernst sein!“
„Wir haben uns das alles gut überlegt und du bist nun mal die Einzige, die melken kann und was von der Landarbeit versteht.“
„Als wenn es nicht schon schlimm genug war, dass ich in der Kinderlandverschickung auf einem Bauernhof gelandet bin und von morgens bis abends nur arbeiten musste, während die anderen Kinder spielen konnten, jetzt muss ich deshalb auch noch büßen und diese verhasste Arbeit noch mal machen?“, haderte Josefine mit ihrem Schicksal.
„Was bist du doch ungefällig! Schämst du dich nicht? Du bist die Einzige, die der Margot helfen kann und du weigerst dich, weil du keine Lust hast?“ Empört sah Tante Uschi sie an. Dann brach sie wieder in Tränen aus. „Das hätt ich nicht von dir gedacht, Josefine, wo du dich doch immer so gut mit der Margot verstanden hast.“
„Außerdem könntest du uns dann auch am Wochenende besuchen und Kartoffeln und Gemüse und Eier und alles mitbringen. Die Margot war ja schon ewig nicht mehr hier, weil sie keine Zeit hatte, uns zu besuchen.“
„Aber Mama, so dringend brauchen wir die Lebensmittel doch auch nicht. Es ist ja nicht so, dass wir wie damals
Weitere Kostenlose Bücher