Ein mörderischer Sommer
Gedanken alles durch, was am Abend zuvor geschah. Sie sieht, wie Paul in die warme Nachtluft hinaustritt, beobachtet, wie er mit dem Wagen aus ihrer Auffahrt fährt, fühlt das Gewicht der Tür, als sie sie hinter ihm schließt. Joanne erinnert sich, daß sie in die Küche ging, um sich eine Tasse Tee zu machen, sie fühlt die wohltuende Wärme in ihrer trockenen Kehle, fühlt die Müdigkeit, während sie sich auszog und ins Bett stieg. Sie schlief lange und hatte keine Träume. Ein lautes Klopfen weckte sie, kurz bevor der Wecker, auf sieben Uhr gestellt, läutete.
Sie hat vergessen, die Alarmanlage anzuschalten – wieder einmal. Du würdest deinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre, hört sie ihre Mutter sagen. »Los, Joanne!« ruft sie laut und öffnet die Haustür.
Er liegt zu ihren Füßen, neben der Morgenzeitung, groß und schwarz und gespenstisch passend.
Joanne bückt sich, hebt den Trauerkranz auf und trägt ihn ins Haus. Langsam zieht sie den kleinen weißen Briefumschlag aus den feinen Zweigen des Kranzes. Ihre Hände sind seltsam ruhig. Sie reißt den Umschlag auf und entnimmt ihm ein Blatt Papier. Ein einziges Wort ist in großen schwarzen Druckbuchstaben darauf geschrieben: B ald.
28
Joanne bringt ihr Haus in Ordnung.
Es ist Samstag abend. Den ganzen Tag ist sie von einem Zimmer ins andere gegangen, hat aufgeräumt, saubergemacht, umgestellt – Frühjahrsputz, obwohl es bald Herbst sein wird. Die letzten paar Stunden war sie in den Zimmern ihrer Töchter, hat Dinge weggeworfen, die sie nicht mehr brauchen. Sorgfältig hat sie es vermieden, Kleider auszusortieren, die ihre Töchter besonders gern anziehen; sie will ihre Kinder nicht bevormunden. Sie müssen ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sie versucht nur, ihnen die Rückkehr vom Lager nächste Woche zu erleichtern. Es wird ohnehin schwer genug für sie sein, heimzukommen und erfahren zu müssen, daß ihre Mutter weg ist.
Noch ist Zeit, den Telefonhörer abzunehmen und nach Kalifornien zu telefonieren, ihrem Bruder zu sagen, daß sie es sich anders überlegt hat, daß sie ins nächste Flugzeug steigt. Aber das würde nur das Unvermeidliche hinauszögern, und sie hat es satt, zu warten. Das Warten würde nur das Leben ihrer Töchter gefährden und ihr eigenes nicht retten. Sie könnte nicht ewig in Los Angeles bleiben. Eines Tages würde sie zurückkommen, und dann würde er auf sie warten. Ich bleibe da, beschließt sie und stellt die letzten frisch abgestaubten Bücher auf Robins Regal zurück.
Alles ist jetzt ordentlich aufgeräumt. Das Haus ist sauber. In den Schränken hängen frische Herbstsachen; die Tiefkühltruhe ist voll. Joanne ist vorbereitet auf den September, obwohl sie nicht weiß, ob sie ihn erleben wird. Instinktiv glaubt sie, daß ihr Peiniger diese Woche zuschlagen wird. Bevor ihre Töchter zurückkommen. Bevor die Nachbarn, die den Sommer über weggefahren sind, wieder eintrudeln.
Joanne geht durch die Diele im ersten Stock in ihr Schlafzimmer, zum Telefon am Nachttisch. Sie muß mehrere Gespräche führen. Sie setzt sich auf das große Bett, nimmt den Hörer ab und wählt.
Überraschenderweise geht Paul schon beim ersten Klingeln an den Apparat. »Ich habe gerade an dich gedacht«, sagt er.
Da er nicht weiterspricht, beginnt Joanne zu reden. »Ich will nur sichergehen, daß du die Mädchen auch wirklich vom Bus abholst.«
»Heute in einer Woche«, bestätigt er. »Um eins.«
»Hast du es dir aufgeschrieben? Wirst du es auch nicht vergessen?«
»Joanne, ist alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung«, sagt sie. »Ich wollte nur sichergehen. Paul …« Sie stockt. Wie soll sie ihm, ohne ihn zu beunruhigen, sagen, er solle gut auf die Mädchen aufpassen, falls ihr etwas zustößt? Es ist unmöglich. Sie kann nur darauf vertrauen, daß er es tun wird. Sie weiß, daß er es tun wird.
»Ja?«
»Komm nicht zu spät«, sagt sie. »Du weißt ja, wie sauer sie werden, wenn man sie warten läßt.«
Bevor er noch irgend etwas sagen kann, verabschiedet sie sich. Sie wählt die Nummer ihres Bruders in Kalifornien.
»Warren?«
»Joanne? Ist alles in Ordnung?«
»Alles ist bestens. Ich wollte nur mal hallo sagen und hören, wie es dir bei der Filmerei ergangen ist.«
»Es war toll. A star was born! Wie geht es dir?«
»Alles wie immer«, antwortet Joanne. Sie spürt, daß dies die Frage ist, die er in Wahrheit stellt. »Und was machst du jetzt, nach den Dreharbeiten?«
»Ich kehre wieder zu den alten
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