Ein mörderischer Sommer
erklärt Joanne ihrem Bruder und schielt zu Ron hinüber, der sehr erleichtert wirkt.
»Ohne sie bin ich aufgeschmissen, das schwöre ich«, sagt Ron lachend. »Ich meine, ich würde ja gerne großzügig sein, aber ich brauche sie wirklich. Wenn sie zwei Wochen lang weg wäre, würde meine ganze Praxis zusammenbrechen – von meinem Leben ganz zu schweigen.«
Paul sieht den auf der anderen Seite des Tisches sitzenden Arzt an. »Ich dachte, Joanne würde sowieso am Ende des Monats mit der Arbeit aufhören.«
»Ich habe beschlossen, weiterzumachen«, erklärt Joanne. Er ist sichtlich überrascht.
»Gott sei Dank«, sagt Ron Gold.
»Ich hätte nicht gedacht …«, beginnt Paul und unterbricht sich. »Wann hast du diese Entscheidung getroffen?«
»Letzte Woche«, sagt Joanne. »Mein Großvater hatte etwas damit zu tun.«
Jetzt sieht Warren überrascht drein. »Großvater? Wieso denn?«
»Es ist ziemlich kompliziert«, antwortet Joanne. »Durch ihn bin ich mir einfach über bestimmte Dinge klargeworden.« Sie wirft einen Blick auf die Armbanduhr. »Müßt ihr jetzt nicht langsam zum Flughafen fahren?«
»Ich fahre euch gerne hin«, bietet Paul an.
»Das ist doch nicht nötig.«
»Ich würde es gerne tun.«
»Na gut.« Warren nimmt das Angebot an.
»Können wir dich wirklich nicht überreden, mit uns zu kommen?« fragt Gloria Joanne. Beide Frauen wissen, daß es nur eine Höflichkeitsfloskel ist.
»Wie wäre es mit Weihnachten?« fragt Joanne.
»Wunderbar«, ruft Gloria. »Ich kenne genau den richtigen Mann …« Verlegen unterbricht sie sich. Sie ist bemüht, Pauls Blick auszuweichen. »Das wird lustig. Überlaß alles mir.«
»Ich freue mich schon.«
Die kleine Gruppe setzt sich langsam Richtung Haustür in Bewegung. »Grüß Eve von mir«, sagt Warren. »Sag ihr, ich finde es schade, daß ich sie nicht sehen konnte, und ich hoffe, daß es ihr bald wieder gutgeht.«
»Mach' ich.«
»Ist das euer ganzes Gepäck?« fragt Paul, den Blick auf die kleine Tasche gerichtet, die neben dem Schrank in der Diele auf dem Boden steht.
»Ja«, antwortet Gloria.
Es entsteht eine peinliche Pause. Keiner scheint zu wissen, wohin mit seinen Händen.
»Paß auf dich auf«, sagt Warren schließlich und nimmt seine Schwester in den Arm. »Wenn du irgend etwas brauchst …«
»Ich rufe euch an.«
»Ich habe solche Schuldgefühle«, flüstert er hilflos.
Joanne macht einen Schritt zurück, so daß sie ihm direkt in die traurigen Augen sehen kann. »Schuld ist Verschwendung kostbarer Zeit.«
Er lächelt. »Wie bist du nur so klug geworden?« Er gibt ihr einen flüchtigen Kuß.
»Ich bin nicht klug«, flüstert sie ihm ins Ohr. »Nur nicht mehr so dumm wie früher.«
»Du bist nie dumm gewesen.«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch. Grüße meine schönen Nichten von mir!«
»Dito«, sagt sie lachend.
»Auf Wiedersehen, Joanne«, verabschiedet sich Gloria. Sie zieht ihre Schwägerin an sich. »Wenn sich die Sache bis Weihnachten immer noch nicht geklärt hat … Ich kenne den perfekten Mann.«
»Ich freue mich schon auf ihn.«
Ungeduldig sieht sich Paul in der kleinen Diele um. »Fertig?« fragt er und öffnet die Haustür. »Gehen Sie jetzt auch?« fragt er Ron wie nebenbei, während Gloria und Warren das Haus verlassen.
»Ich glaube, ich bleibe noch ein bißchen und leiste Joanne Gesellschaft«, sagt Ron ganz locker. Falls er sich irgendeiner Spannung bewußt ist, so ignoriert er sie.
Paul nickt. Der Ansatz eines Lächelns gefriert auf seinem Gesicht. Er sieht Joanne an. »Ich glaube, wir müssen miteinander reden«, sagt er.
»Das ist eine gute Idee, finde ich.«
»Vielleicht komme ich heute abend vorbei.«
»Gut.«
Verlegen steht er in der Tür. »Welche Zeit wäre dir recht?« fragt er schließlich.
Soll ich ihn zum Essen einladen? überlegt Joanne, aber sie hat eigentlich keine Lust zum Kochen. »Halb neun«, sagt sie.
»Bis dann.« Paul wirft noch einmal einen Blick auf Ron Gold, bevor er Warren und Gloria die Stufen hinab folgt.
»Glaubst du, er wird dich zu überreden versuchen, den Job aufzugeben?« fragt Ron, nachdem Joanne die Haustür geschlossen hat.
Joanne zuckt die Achseln, gibt ihrem Chef einen aufmunternden Klaps auf die Schulter und führt ihn zurück in die Küche.
»Dein Bruder ist ein netter Kerl«, sagt Ron. »Von der Schule her kann ich mich gar nicht mehr an ihn erinnern.«
»Er war ein paar Jahre hinter uns.«
»Willst du wirklich nicht mit ihnen nach Kalifornien
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