Ein mörderischer Sommer
überhaupt nichts richtig gemacht.«
»Ach ja. In zwanzig Jahren hast du nichts richtig gemacht!«
Joanne nickte. »Ich habe in dieser Woche viel nachgedacht – über die letzten zwanzig Jahre, und wie ich sie gelebt habe … und – kannst du das nicht verstehen, Eve? – ich bin ein Anachronismus! Alles, wozu man mich erzogen hat, ist aus der Mode gekommen!«
»Eine treue Ehefrau zu sein ist aus der Mode gekommen? Eine gute Mutter zu sein, eine sehr, sehr gute Freundin zu sein ist aus der Mode gekommen? Wer sagt das? Zeig mir den, der das sagt, und ich verprügle ihn gleich hier vor dir! Aber jetzt sage ich besser nichts mehr. Wenn ich weiter so daherrede, und ihr, Paul und du, versöhnt euch wieder – und dazu wird es bestimmt kommen –, dann wirst du mich hassen, und dann verliere ich die beste Freundin der Welt.«
»Mich verlierst du nie«, sagte Joanne lächelnd. »Du bist das einzig Beständige in meinem Leben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir jemals keine Freundinnen mehr sind.«
»Ich liebe dich«, sagte Eve und ging auf Joanne zu.
»Ich liebe dich auch.« Die beiden Frauen trafen sich in einer langen, tröstlichen Umarmung.
»Um wieviel Uhr ist dein Arzttermin morgen?« fragte Joanne und löste sich aus Eves Armen.
»Ach, vergiß es, du mußt mich wirklich nicht begleiten.«
»Sei nicht albern. Warum solltest du allein dahin gehen?«
»Na gut. Um halb zehn muß ich dort sein. Und jetzt gehe ich besser. Ich muß noch ungefähr eine Million Arbeiten korrigieren.«
»Eve …« Als sie Joannes Stimme hörte, blieb Eve, die schon in der Diele war, stehen. »Was weißt du über diese Frau in Saddle Rock Estates?« Eve sah sie fragend an. »Du weißt schon, die man ermordet hat.«
Eve hob die Schultern. »Nicht viel«, sagte sie. »Was man eben so in der Zeitung gelesen hat. Sie wurde vergewaltigt und erschlagen und erdrosselt und erstochen. Alles, was es gibt.«
»Und sie ist schon die dritte in diesem Jahr, hast du gesagt.«
»Brian meint, es ist jedesmal derselbe Mann gewesen. Warum fragst du?«
Joanne erzählte ihr von den Anrufen. »Er sagt, ich bin die nächste.«
Zu ihrem großen Erstaunen brach Eve in lautes Lachen aus. »Entschuldige«, sagte sie hastig. »Aber du siehst so besorgt aus …«
»Nun, ich bin besorgt. Paul ist nicht mehr da, und …«
»Und irgendein Verrückter ruft dich an und sagt, du bist die nächste auf seiner Liste. Ich weiß, über so was soll man nicht lachen, aber bist du dir darüber im klaren, wie viele Frauen der wahrscheinlich schon angerufen hat? Halb Long Island, wette ich. Der ist harmlos, Joanne. Wer sich Befriedigung per Telefon verschafft, hat selten den Mut, wirklich etwas anzustellen. Also, hör zu, ich bin ganz sicher, daß es nichts ist, aber wenn es dich beruhigt, erzähle ich es Brian, okay?«
»Dafür wäre ich dir sehr dankbar«, sagte Joanne.
Eve lächelte und umarmte ihre Freundin noch einmal. »Vergiß nicht unsere Tennisstunde morgen nachmittag!«
»Um neun an der Auffahrt.« Joanne winkte Eve nach, bis sie im Nebenhaus verschwunden war.
»Du mußt einfach mehr lernen«, sagte Joanne wenige Minuten später zu Lulu. »Vielleicht können wir ein System ausarbeiten, mit dem du dir Daten besser merken kannst. An das Jahr der Schlacht von New Orleans habe ich mich immer erinnern können, weil es damals, als ich in der High School war, einen Schlager gab, der davon handelte. Achtzehnhundertvierzehn – ich wette, jedes Kind in der Schule wußte das damals.«
»Vielleicht sollten wir Michael Jackson bitten, einen Song über den Bürgerkrieg zu schreiben«, schlug Lulu vor.
»Gar keine schlechte Idee.«
»Das Leben ist nicht wie Sesamstraße, Mutter.«
Eine Elfjährige erzählt mir etwas über das Leben, dachte Joanne. Plötzlich klopfte jemand gegen die gläserne Schiebetür. Einer der Swimmingpool-Arbeiter stand draußen. Langsam erhob sich Joanne, entriegelte die Tür und schob sie auf.
»Wir sind fertig für heute«, teilte der Mann ihr mit. »Dürfte ich bitte kurz Ihr Telefon benutzen?«
Joanne tat einen Schritt zurück, um ihn einzulassen. »Dort an der Wand«, sagte sie und deutete auf das weiße Telefon.
»Danke«, sagte er und lächelte Joanne an. Als er sich zur Wand drehte, schnitt Lulu ihrer Mutter eine Grimasse. Plötzlich drehte sich der Mann wieder um und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. »Ich soll warten, bis ich durchgestellt werde«, murmelte er. Joanne nickte. »Ist Ihr Mann da?« fragte
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