Ein mörderischer Sommer
Das, was er sagt, interessiert mich ja wirklich. Er sagt, meine Frisur gefällt ihm, wird ihr bewußt, als er es zum zweitenmal ausspricht.
»Nein, wirklich, ich finde sie toll. Ich wollte dir das schon heute morgen sagen, als ich die Mädchen abholte.« Automatisch hebt Joanne ihre Hand, um das Haar glattzustreichen. »Nein, mach das nicht!« Sofort läßt Joanne ihre Hand fallen.
»Es geht so eine Art sorgloser Gelassenheit davon aus … ich weiß nicht …«
Joanne lacht. »So bin ich … sorglos und ge … verlassen.« In der jetzt folgenden Stille prallt ihr das ganze Gewicht des eben Gesagten entgegen. »Das wollte ich nicht sagen, ehrlich.« Ihre Stimme geht in ein Flüstern über. Ihr ganzes vorsichtiges Gespräch von einem einzigen sorglos dahingesagten Satz zerstört!
»Ist schon gut«, sagt er, und Joanne merkt, daß er gleich zu lachen beginnen wird. »Eigentlich war es eine ziemlich witzige Bemerkung.« Plötzlich wird er ernst. »Auf jeden Fall eine, die ich verdient habe.«
Joanne schweigt. Worauf will er hinaus? Es tut mir leid? Vergib mir? Wenn du mich wieder nach Hause kommen läßt, werde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, alles wiedergutzumachen?
»Ich bin noch nicht soweit, daß ich heimkommen kann«, sagt er statt dessen. »Ich mußte das jetzt sagen, denn ich wollte dir keinen falschen Eindruck vermitteln …«
»Ich verstehe.«
»Ich möchte ehrlich sein.«
»Dafür bin ich dir dankbar.«
»Ich liebe dich, Joanne.«
»Ich liebe dich auch.« Bitte heul nicht, fleht sie sich selbst an. Der Mann sagt dir gerade, daß er dich liebt. Verdirb nicht alles durch Heulen!
»Bitte weine nicht«, sagt er.
»Es tut mir leid, ich will eigentlich gar nicht weinen.« Hör auf mit dieser verdammten Flennerei!
»Ich weiß, es ist sehr schwer für dich.« Sie schüttelt den Kopf und wischt sich ein paar Tränen weg. »Ich denke zur Zeit viel über uns nach, über unsere Situation …«
Der Kellner kommt und fragt, ob sie jetzt das Dessert bestellen wollen. Joanne schüttelt den Kopf und starrt beständig in ihren Schoß. Unmöglich kann sie jetzt etwas essen, ohne Gefahr zu laufen, völlig unromantisch draufloszukotzen.
»Zwei Kaffee«, sagt Paul, während Joanne sich verstohlen mit ihrer Serviette über die Augen wischt. »Habe ich dir schon gesagt, daß mir dein Kleid gefällt?« fragt Paul plötzlich, und Joanne muß an sich hinuntersehen, um wieder zu wissen, was sie gerade trägt. »Ist es neu?«
»Nein«, antwortet Joanne. Sie spielt an einem der Knöpfe herum. »Ich habe es letzten Sommer gekauft. Ich habe es nur nie getragen, weil es aus Leinen ist und so schnell verknittert.«
»Es soll ja knittern.«
»Ja, das hat die Verkäuferin auch gesagt.«
»Weiß ist eine günstige Farbe für dich. Es bringt deine Bräune zur Geltung.«
Joannes Hand gleitet von den Knöpfen hinauf zu ihrem Gesicht. »Es ist Make-up«, erklärt sie ihm. War es gut, das zu sagen? Paul mag Make-up nicht besonders. Wieder entsteht eine ungemütliche Pause. Der Kellner kommt mit zwei Tassen Kaffee, stellt sie auf den Tisch und verschwindet diskret.
»Ich brauche mehr Zeit«, fährt er fort, als wäre das Gespräch nie unterbrochen worden. »Ich habe soviel zu tun im Augenblick …«
»Du meinst deine Arbeit?«
Er nickt. »Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
»In welcher Beziehung?«
»Ich weiß nicht genau, ob ich das erklären kann. Es ist nicht nur die Belastung durch die Arbeit. Damit werde ich fertig. Ich meine, ich habe viel zu tun, zu viel. Aber ich hatte immer schon zuviel zu tun. Jetzt ist es aber so, daß ich die ganze Zeit so müde bin. Egal, wie lange ich schlafe, das scheint überhaupt keinen Einfluß darauf zu haben.«
Wie lange hat die kleine Judy dich wohl schlafen lassen? denkt sich Joanne, aber sie fragt es nicht laut. Statt dessen sagt sie: »Bist du beim Arzt gewesen?«
»Philips hat mich von Kopf bis Fuß untersucht, hat sogar einen Streß-Test mit mir gemacht. Im Prinzip bin ich in Top-Form für mein Alter. Mein Herzrhythmus ist gut, der Blutdruck ist auch in Ordnung. Mehr Bewegung sollte ich haben, hat er gesagt, und jetzt habe ich mit ein bißchen Gymnastik und Gewichtheben angefangen.«
»Ich hab's gemerkt.«
Er betastet seine Arme, die jetzt unter dem hellblauen Sakko verborgen sind. »Wie findest du es?« fragt er schüchtern, mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.
Joanne kichert. Sie fühlt sich wie ein Teenager. »Du hast mir mal gesagt, du
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