Ein mörderischer Sommer
Sachen! Ist hier überhaupt noch etwas, was du nicht angerührt hast?«
»Nun, du warst so lange weg, da bin ich nervös geworden; ich hatte nichts zu tun.«
»Mal ein Buch in die Hand zu nehmen, fällt dir wohl nicht ein?« fragt Eve. »Wie hast du nur dieses Sofa ganz allein vom Fleck bewegen können, Himmel noch mal? Das ist wirklich zuviel«, sagt sie ungläubig, halb lachend, halb weinend. »Das halte ich nicht aus.«
»Geh rauf und leg dich hin«, empfiehlt Mrs. Cameron ihrer Tochter, die den Raum bereits verlassen hat und auf halber Treppe zu ihrem Zimmer ist. »Du bleibst«, flüstert sie Joanne zu. »Ich will mit dir reden.«
»Danke, Joanne«, ruft Eve von der Treppe hinunter. »Bis später.«
»Und? Was war?« fragt Eves Mutter sofort.
»Nicht viel«, antwortet Joanne, folgt der alten Frau in die Küche und setzt sich ihr gegenüber an den Tisch. »Offensichtlich hat der Arzt sie ziemlich gründlich untersucht. Er meint, mit ihrer Haut ist alles in Ordnung, außer daß sie ein bißchen trocken ist.«
»Hat sie ihm gesagt, daß sie früher immer fettige Haut hatte?«
»Er hat gesagt, daß die Haut sich verändert, wie alles andere auch. Er meinte, es könnten ihre Hormone sein, die Schwangerschaft, die Fehlgeburt. Ich weiß nicht genau. Eve kann es Ihnen besser erklären.«
»Aber es ist nichts Schlimmes?«
»Mrs. Cameron«, fragt Joanne ganz geduldig, »wie schlimm kann trockene Haut denn schon sein?«
»Hast du das Eve gesagt?«
»Ich habe es versucht.«
»Und?«
»Sie sagt, die trockene Haut sei nur ein Symptom des größeren Problems.«
Unruhig trommelt Eves Mutter mit den Fingern auf den Tisch. Sie hat den Kopf gesenkt. Plötzlich merkt Joanne, um wieviel älter Eves Mutter zur Zeit aussieht. Zum erstenmal verraten ihre Gesichtszüge die bald sieben Jahrzehnte. Die Ringe unter ihren Augen sind geschwollen und hängen herab. An einem Mundwinkel hat sie einen leichten Tic. Joanne sieht, daß Arlene Pringle Hopper Cameron, die drei Männer zu Grabe getragen hat, kurz davor ist, in Tränen auszubrechen. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, schluchzt sie leise und schlägt die Hände vors Gesicht.
»Warum gehen Sie nicht nach Hause?« sagt Joanne sanft. Diese Gelegenheit muß genutzt werden. »Sie sehen müde aus. Sie müssen sich ausruhen.«
»Ich kann nicht heimgehen«, erwidert die Frau, den Blick auf Joanne gerichtet. »Eve braucht mich hier.«
»Eve kommt sehr gut allein zurecht, Mrs. Cameron«, drängt Joanne. »Zweimal in der Woche kommt die Putzfrau, und ich wohne ja gleich nebenan. Ich werde mit Brian sprechen, er muß dann eben mehr Zeit zu Hause verbringen. Vielleicht wäre es sogar ganz gut, wenn Eve mehr im Haushalt zu tun hätte. Das würde sie von den Schmerzen ablenken.«
»Meinst du etwa, ich hätte das Eve noch nicht vorgeschlagen?« fragt Mrs. Cameron. Joanne ist überrascht. Allerdings, das hätte sie nicht gedacht. »Ich habe selbst Probleme mit dem Herzen, weißt du. Glaubst du vielleicht, das hier ist leicht für mich? Ich führe mein eigenes Leben, ich habe meinen Bridge-Club und meine Mah-jongg-Damen. Ich weiß, das klingt ziemlich banal, aber was soll's? Das Leben mancher Menschen ist eben weniger bedeutend als das anderer. Ich bin zu alt, um Kindermädchen zu spielen. Aber jedesmal, wenn ich Eve gegenüber andeute, daß ich jetzt wieder heimgehe, daß sie versuchen soll, sich selbst zu helfen, wird sie wütend. Dann schreit sie: ›Was bist du bloß für eine Mutter, daß du deine eigene Tochter im Stich läßt, wenn sie dich am dringendsten braucht?‹ Was soll ich tun? Sogar wenn ich nur mal einen Nachmittag lang ausgehen will, wird sie schon hysterisch.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht vollkommen, Joanne, weiß Gott nicht. Ich habe viele Fehler gemacht. Aber ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben. Du bist die einzige, auf die sie hört – sag du mir, was ich tun soll! Sie ist meine Tochter, und ich habe sie lieb, ich will nicht, daß sie unglücklich ist. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll.« Sie trocknet sich mit einem Papiertaschentuch die Augen. »Sie ist vierzig, aber sie ist immer noch mein Kind. Man hört nicht auf, Mutter zu sein, bloß weil die Kinder alter werden. Na, das brauche ich dir ja nicht zu sagen. Wie geht es denn deinen Mädchen?« fragt sie und versucht ein Lächeln.
»Gut«, antwortet Joanne – eine Unterstellung, denn sie hat noch keine Post von ihnen erhalten. Sie erhebt sich und legt der alten Frau eine
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