Ein mörderischer Sommer
wendet sie ihm ihr Gesicht zu.
Er trägt einen grauen Anzug, ein blaß rosafarbenes Hemd und eine kastanienbraun gestreifte Krawatte, und obwohl er lächelt, sieht er nicht aus, als fühle er sich wohl. »Hallo, Joanne«, sagt er leise. »Wie geht es dir, Eve?«
Joanne nickt, während Eve ihm antwortet. »Ich sterbe langsam vor mich hin«, sagt sie mit flacher, humorlos klingender Stimme.
»Du siehst gut aus«, sagt er. Eve knurrt.
»Das kannst du auf meinen Grabstein schreiben«, erwidert sie.
»Und wie geht's dir?« fragt er, während er sich an Joanne wendet.
»Gut«, antwortet sie. Sie meint es ernst. »Ich habe einen Job.«
»Einen Job? Was für einen Job?« Er ist überrascht, interessiert.
»Ich bin … so was wie eine Sprechstundenhilfe … für einen Hautarzt … den Sommer über … bis die Mädchen aus dem Ferienlager zurück sind.«
»Das klingt ja toll.«
»Es gefällt mir sehr gut.«
Einen Augenblick lang schweigen sie. »Ich wollte dich anrufen«, sagt er verlegen. Er weiß, daß Eve das Gespräch sorgfältig überwacht.
»Ist schon gut …«
»Ich hatte sehr viel zu tun …«
»Macht nichts«, sagt Joanne.
»Ich dachte, wir könnten ja am Besuchstag zusammen zum Lager hinausfahren. Das heißt, natürlich nur, wenn du nicht schon etwas anderes vorhast.«
»Das wäre schön«, erklärt sie sich hastig einverstanden. »Den Mädchen würde es sicher auch gefallen.«
»Hast du etwas von ihnen gehört?«
»Noch nicht. Und du?«
»Nicht eine Zeile. Typisch für die beiden, nehme ich an.« Er läßt den Blick umherwandern. Warum wirkt er so unruhig? »Tolle Aufführung«, schwärmt er und macht einen Schritt zurück, als Eve höhnisch auflacht. »Du findest das nicht?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten«, erklärt Eve und setzt schon zum Weitersprechen an, wird aber durch das Erscheinen einer jungen, attraktiven – etwas zu stark geschminkten – Blondine unterbrochen, die aus dem Nirgendwo aufgetaucht ist und Paul fest am Arm packt.
Paul lächelt in ihre Richtung; Eve lächelt in ihre Richtung; Joanne lächelt in ihre Richtung. Die junge Blondine lächelt zurück. Da stehen sie alle mitten im Foyer und lächeln sich gegenseitig an wie ein Haufen Idioten. Joanne fühlt, wie die Bühnenlampen sie abwechselnd in blaues, gelbes und lila Licht baden. Sie fühlt sich, als wären sie alle plötzlich auf die Bühne gehievt und nackt ausgezogen worden. Sie fühlt sich in den Knien schwach werden, fühlt, daß sich ihr der Magen umdreht. Jetzt weiß sie, weshalb Paul so unruhig ist. Sie fragt sich, ob er sie wohl miteinander bekannt machen wird, und wie. Judy (denn dies muß die kleine Judy sein), ich möchte dir meine Frau vorstellen; Joanne, das ist die kleine Judy.
Es läutet; die Pause ist zu Ende. Erlöst von der Glocke, denkt sich Joanne und weiß gleichzeitig, daß sie jenseits aller Erlösung ist.
»Ich rufe dich an«, sagt Paul leise (so daß seine kleine Judy es nicht hören kann?) und führt die junge Blondine weg, ohne sie verlegen vorgestellt zu haben. Hat er der kleinen Judy nicht gesagt, wie sehr er Künstlichkeit haßt? Hat er sie nicht davor gewarnt, zuviel Rouge aufzulegen? Ist es Creme- oder Puder-Rouge? fragt Joanne sich und hofft, daß es Creme-Rouge ist.
»Alles in Ordnung mit dir?« fragt Eve, als das Foyer sich allmählich leert.
Joanne schüttelt den Kopf.
»Willst du gehen?«
Joanne nickt. Wenn sie jetzt versucht zu sprechen, bricht sie zusammen. Dumm, dumm, dumm! beschimpft sie sich selbst, während Eve sie in die Nachtluft hinausführt.
»Ich wußte gar nicht, daß Paul einen so gewöhnlichen Geschmack hat«, bemerkt Eve. Sie beginnen in Richtung Wagen zu gehen. Eve hat sich bei Joanne untergehakt.
»Sie ist sehr hübsch«, gelingt es Joanne herauszuquieken.
»Sie ist sehr gewöhnlich«, korrigiert Eve ungehalten. »Wasch ihr das Gesicht, nimm die blonden Haare und die großen Titten weg, was bleibt dann noch übrig? Im Grunde«, fährt Eve mit ihrer Analyse fort, »hast du dann dich vor zwanzig Jahren.«
Joanne bleibt stehen. Sie versucht das, was Eve gerade gesagt hat, zu verdauen, aber sie schafft es nicht. »War das eine Beleidigung oder ein Kompliment?« fragt sie.
Eve geht über die Frage hinweg, indem sie plötzlich fast zu laufen beginnt. »Damit will ich nur sagen, daß du einen Idioten geheiratet hast.«
»Das finde ich nicht«, erwidert Joanne und bleibt abermals stehen.
»Hörst du jetzt endlich auf, andauernd stehenzubleiben? Wir
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