Ein mörderischer Sommer
sie.
»Nicht ich bin diejenige, deren Mann sie nach zwanzig Jahren verlassen hat und die jetzt glaubt, sie muß Geschichten über ein paar verrückte Telefonanrufe erfinden, um Aufmerksamkeit zu erregen.«
Joanne spricht mit ganz leiser Stimme. »Glaubst du wirklich, daß ich das tue?«
Plötzlich schlägt Eve die Hände vors Gesicht und bricht in Tränen aus. Eine Sekunde später wirft sie den Kopf zornig aufkeuchend zurück, schluckt den Schrei, drängt ihn zurück.
»Laß es raus«, drängt Joanne sie leise. Langsam verschwindet ihr eigener Zorn. »Da ist soviel Wut drin, Eve, laß ein bißchen davon raus!«
Eve lehnt sich in ihren Sitz zurück. »Verdammt«, murmelt sie immer wieder. »Verdammt, verdammt, verdammt.« Sie blickt Joanne an. »Warum streitest du dich mit mir herum? Du weißt doch, daß ich jedem immer gleich an die Kehle springe.«
»Mir bist du bis jetzt noch nie an die Kehle gesprungen.«
»Du hast dich bis jetzt auch noch nie gewehrt.«
»Vielleicht spielen sich die Anrufe tatsächlich in meinem Kopf ab«, gibt Joanne nach langem Schweigen zu, während dem keine der Freundinnen die andere ansah. »Weißt du was?« Sie lacht, ohne es zu wollen. »Wenn du zum Psychiater gehst, gehe ich auch. Wir können dann immer zusammen in die Stadt zu unseren Sitzungen fahren. Können den Abend in Manhattan verbringen, zum Essen und ins Kino gehen. Vielleicht schleifst du mich dann wieder in so einen Horrorfilm. Na, wie klingt das?«
Eve lacht nicht; sie lächelt nicht einmal. »Ich brauche keinen Psychiater«, sagt sie.
21
Das Telefon klingelt.
»Praxis Dr. Gold«, zwitschert Joanne in den Hörer und lächelt gleichzeitig einem untersetzten jungen Mann zu, der gerade die Praxis betritt. »Gleich bin ich für Sie da«, flüstert sie in seine Richtung. »Tut mir leid, Dr. Gold hat die nächsten zwei Monate keine freien Termine. Den frühesten, den ich Ihnen geben könnte, wäre der einundzwanzigste September. Ja, ich verstehe, daß Ihnen das nicht weiterhilft, aber das einzige, was ich für Sie tun kann, ist, Sie anzurufen, wenn jemand seinen Termin absagt. Ja, das kommt vor. Ja, ich werde es versuchen. Inzwischen trage ich Sie für den einundzwanzigsten September um Viertel nach zwei ein. Wie ist Ihr Name, bitte? Marsha Fisher? Und Ihre Telefonnummer? Ja, okay, ich rufe Sie sofort an, wenn sich ein früherer Termin ergibt.« Joanne legt den Hörer auf und blickt den jungen Mann an, der vor ihr steht. Er wirkt schüchtern. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ich möchte zu Dr. Gold«, nuschelt er, das Kinn gegen die Brust gedrückt. Irgendwie kommt ihr die Stimme bekannt vor.
»Ihr Name?« fragt Joanne. Ihr ist unbehaglich zumute, sie ist froh, daß viele Leute im Raum sind.
»Simon Loomis«, antwortet er. Joanne wirft einen Blick auf den Terminkalender.
Zuerst kann sie den Namen nicht entdecken, aber dann findet sie ihn. »Sie sind erst um drei Uhr an der Reihe«, erklärt sie und dreht sich nach der Uhr um, die hinter ihr an der Wand hängt. »Es ist jetzt noch nicht einmal zwei. Sie sind sehr früh gekommen.«
»Hab' nichts Besseres zu tun«, sagt er achselzuckend. Eine Strähne seines hellbraunen Haars fällt ihm über die tiefliegenden Augen.
»Na ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht zu warten … Unten im Haus ist ein Restaurant, falls Sie Lust auf eine Tasse Kaffee haben.«
Er läßt seinen kleinen, zäh wirkenden Körper in den einzigen leeren Stuhl fallen, der sich genau ihr gegenüber befindet. Joanne schätzt sein Alter auf achtzehn bis fünfundzwanzig Jahre und wundert sich, daß er keinen Job hat. Vielleicht ist seine ganze Art schuld daran. Mit seiner offensichtlichen Befangenheit macht er alle anderen Leute ebenso befangen. Joanne beginnt die Zahlungen durchzugehen, die sie mit der Nachmittagspost erhalten hat. Sie merkt, daß die Augen des jungen Mannes noch immer auf sie gerichtet sind. Sie sieht zu ihm auf und lächelt. Seine Mundwinkel zucken kurz nach oben, der Rest seines unscheinbaren Gesichts bleibt bewegungslos. »Waren Sie schon einmal hier?« fragt sie, denn ihr ist eingefallen, daß neue Patienten einen Fragebogen ausfüllen müssen. Er schüttelt den Kopf. »Dann darf ich Ihnen das hier geben.« Sie streckt ihm das Blatt Papier entgegen. »Es erleichtert dem Doktor die Arbeit, wenn Sie das hier vor der Untersuchung ausfüllen.«
»Was ist das?« Argwöhnisch bewegt Simon Loomis sich mit ausgestrecktem Arm auf sie zu.
»Nur ein paar grundlegende Informationen, um die
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