Ein Moment fürs Leben. Roman
Oberhand. Don hielt meine Hand in seiner, führte mich zielstrebig durch die Küche zum Kaltwasserhahn und ließ mich auch nicht los, als das Wasser zu kalt wurde und ich die Hand eigentlich wegziehen wollte. »Du musst sie mindestens fünf Minuten drunterhalten, Lucy«, befahl er streng.
Ich machte den Mund auf, entschied mich aber dann, nicht zu widersprechen.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte mein Leben beeindruckt.
»Was?«
»Dass sie nicht protestiert.«
Don lächelte kurz, konzentrierte sich dann wieder auf meine Hand.
»Ich denke, du musst sie amputieren lassen«, meinte mein Leben. Er saß immer noch an der Theke und schaufelte sich Omelett in den Mund.
»Danke für dein Mitgefühl. Das hier«, sagte ich mit einem Nicken zu Don, »ist die richtige Art.«
»Er hat gerade mit dir geschlafen, also muss er jetzt so tun, als würde er dich respektieren.«
Das sollte ein Witz sein, und ich wusste, dass mein Leben in Wirklichkeit sehr beeindruckt und glücklich war. Er trug einen neuen Anzug, marineblau, der das Blau seiner Augen, das vorher so nichtssagend und verwaschen gewirkt hatte, zum Leuchten brachte. Sogar seine Erkältung hatte sich gebessert, so dass seine Nase nicht mehr so groß wirkte, seine Zähne waren geputzt, sein Mundgeruch war verschwunden, und er sah insgesamt einfach gut und gesund aus. Seine Stimme klang fröhlich, er neckte mich zwar, aber sehr liebevoll. Eigentlich hätte das auch mich glücklich machen sollen, aber stattdessen verunsicherte es mich. Irgendetwas war im Busch.
»Warum bist du so schick?«, fragte ich ihn.
»Weil ich heute Abend deine Eltern besuche«, antwortete er.
Don sah mich mitfühlend an, wofür ich ihm sehr dankbar war.
»Genaugenommen besuche nicht nur ich sie, sondern
wir
. Ich hab sie gestern angerufen und mit einer sehr netten Frau namens Edith gesprochen. Sie war ausnehmend freundlich und ganz aufgeregt, dass wir kommen – sie hat versprochen, deine Eltern sofort zu informieren und ein besonders leckeres Essen zuzubereiten.«
Ich verfiel in einen Zustand, den ich für eine Mini-Panikattacke hielt. »Hast du eine Ahnung, was du da angerichtet hast?«
»Ja. Ich habe auf die zahlreichen Anrufe deiner Mutter reagiert, wofür du dich bei mir bedanken solltest. Deine Mutter braucht dich, und du meldest dich nicht mal. Und dich braucht sie auch«, fügte er hinzu und sah Don an. »Auf dem Perserteppich im Salon ist nämlich ein Kaffeefleck.« Mein Leben verzog gespielt schockiert das Gesicht. »Also hab ich ihr deine Nummer gegeben.«
Dass er meiner Mum Dons Nummer gegeben hatte, machte mich noch wütender, als dass er das Essen arrangiert hatte. Da suchte ich verzweifelt nach Möglichkeiten, Don loszuwerden, und er war schon dabei, das Haus meiner Eltern zu infiltrieren. Bald würde nicht nur mein Leben, sondern auch noch Don sowohl meine als auch die Wohnung meiner Eltern kennen.
»Du kapierst einfach nicht, dass das absolut unnötig ist. Du hast doch keine Ahnung – meine Mutter braucht mich so was von überhaupt nicht! Sie würde es sogar schaffen, ihre eigene Beerdigung ohne fremde Hilfe zu organisieren. Und was meinen Vater angeht … ach du Hölle. Du willst meinen Vater kennenlernen? Er wird dir nichts zu sagen haben, absolut nichts.« Ich stützte den Kopf in meine freie Hand, wobei mir plötzlich klarwurde, dass Don alles mithörte, also zog ich meine Hand wieder weg und tat so, als wäre nichts passiert. »Schönes Wetter heute, was?«
Mein Leben sah Don kopfschüttelnd an, aber Don, der immer noch meine Hand unters eiskalte Wasser hielt, bewegte sich keinen Millimeter, sagte auch kein Wort und übermittelte mir dennoch irgendwie aus seinem tiefsten Innern die Botschaft, dass er für mich da war, und zwar hundertprozentig.
Später traten wir in den frischen Morgen hinaus. Hier im Schatten des Apartmenthauses war es besonders kühl, denn im Gegensatz zum sonnigen Park auf der anderen Straßenseite drang hierher kein Sonnenstrahl. Der Wind zerrte an meinem Wickelkleid, und obwohl ich vor Don nichts mehr verstecken konnte, was er nicht längst gesehen hatte, hielt ich den Rock krampfhaft fest, denn irgendwie war jetzt alles anders.
»Soll ich dich in meinem Superheldenauto mitnehmen?«, fragte Don ganz beiläufig, aber ich merkte, dass auch er sich unbehaglich fühlte. Nicht nur sein Fahrzeug war ihm peinlich, es war der Morgen danach, aus der Nacht war Tag geworden, er hatte die gleichen Klamotten an wie gestern, und ich war die letzte
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