Ein Moment fürs Leben. Roman
Ehrengast freute und ihm den tollsten Empfang bereiten wollte, den man bei Silchesters kannte. Auch Mum hatte sich schwer ins Zeug gelegt: In jedem Zimmer, das von der Eingangshalle abzweigte, standen Kristallvasen mit frischen Blumen, auf dem Esstisch lag eine edle Leinentischdecke, sie hatte das beste Silberbesteck herausgeholt, ihre Haare waren frisch geföhnt, und sie trug ein rosa-türkis gemustertes Etuikleid von Chanel, mit passendem Jäckchen und den üblichen flachen Pumps. Für die meisten Leute war das Esszimmer einfach nur das Esszimmer, aber unseres trug den hochtrabenden Namen
Eichenzimmer
. Dank unseres großen Schriftstellers waren die Wände vom Boden bis zur Decke mit Eichenholz getäfelt, und die kristallenen Wandleuchter brachten unsere vielseitige Sammlung wertvoller Gemälde erst richtig zur Geltung – es gab abstrakte Bilder, aber auch sehr realistische von Männern, die mit tief ins Gesicht gezogenen Tweedkappen in den Sümpfen von Mayo schufteten.
»Kann ich dir helfen?«, fragte ich Mum, als sie zum dritten Mal mit einem Silbertablett ins Zimmer flatterte, diesmal mit einem Nachtrag zu den verschiedenen Würzen, die bereits auf dem Tisch standen und die kein Mensch in seinem ganzen Leben, geschweige denn in einer Mahlzeit hätte leer machen können. Es gab kleine Silberschalen mit Mintsauce, mit Senf – grobkörnigem und Dijon –, mit Olivenöl, mit Mayonnaise und mit Ketchup, und neben jedem Schälchen lag ein winziges Silberlöffelchen.
»Nein, Liebes, du bist unser Gast.« Sie ließ den Blick prüfend über den Tisch schweifen. »Balsamico?«
»Mum, das reicht, echt, es steht schon mehr als genug auf dem Tisch.«
»Vielleicht mag er aber ein bisschen Balsamico zu dem leckeren Zwei-Bohnen-Salat, den du Mum mitgebracht hast, Lucy«, meinte Riley frech.
»Ja«, rief Mum sofort und sah Riley an. »Du hast recht. Ich hole ihn sofort.«
»Mum isst gern Salat«, verteidigte ich mein Geschenk.
»Und dass er in einem Plastikbehälter aus deiner Kantine kommt, macht ihn zu etwas ganz Besonderem«, grinste er.
Ich hatte noch keinem verraten, dass mein Leben nicht zum Essen kommen würde, zum Teil, weil ich wirklich nicht wusste, ob er nicht doch noch auftauchen würde, aber hauptsächlich, weil ich in meiner Dummheit angenommen hatte, dass es keine große Rolle spielen würde, ob er kam oder nicht, und dass mir rechtzeitig eine höfliche Entschuldigung für ihn einfallen würde, wenn er wegblieb. Aber anscheinend hatte ich mich gründlich verschätzt. Nicht in meinen kühnsten Träumen hatte ich damit gerechnet, dass sie alle so darauf brannten, mein Leben kennenzulernen. Gespannte Erwartung lag in der Luft, aber auch Aufregung, Nervosität. Ja, das war es. Meine Mutter war nervös. Sie wuselte herum und überprüfte ständig, ob auch alles perfekt war – so viel lag ihr daran, meinem Leben zu gefallen. Und auch Edith kam mir angespannt vor. Genaugenommen versuchten sie ja,
mir
zu gefallen, und ich fühlte mich geschmeichelt, aber in erster Linie ahnte ich, dass ich in Schwierigkeiten war. Die Eröffnung, dass er nicht kommen würde, würde bestimmt keine Freude hervorrufen, und je länger ich es hinauszögerte, desto unangenehmer würde es werden.
Endlich klingelte es am Tor, und Mum sah sich um wie ein gehetztes Reh im Scheinwerferlicht. »Sind meine Haare in Ordnung?« Ich war so erstaunt über ihr Verhalten, dass ich kein Wort herausbrachte – Silchesters gerieten normalerweise nicht so aus der Fassung –, woraufhin sie zu dem goldgerahmten Spiegel über dem großen Marmorkamin hastete und sich auf die Zehenspitzen stellte, um mit angelecktem Finger ein Härchen am Oberkopf zur Räson zu bringen. Auf einmal fiel mir auf, dass für acht Leute gedeckt war. Jetzt wurde ich richtig nervös.
»Vielleicht ist das ja der Teppichmann«, sagte Edith beruhigend zu Mum.
»Teppichmann? Was denn für ein Teppichmann?«, fragte ich, und mein Herz schlug schneller.
»Dein Lebens-Freund hat mir die Nummer einer Teppichreinigungsfirma gegeben, die in deiner Wohnung angeblich wahre Wunder vollbracht hat. Obwohl ich mir gewünscht hätte, er würde erst nach dem Essen kommen.« Mit gerunzelter Stirn sah sie auf die Uhr. »Aber ich muss sagen, es war sehr angenehm, mit ihm zu telefonieren, ich freue mich richtig darauf, ihn persönlich kennenzulernen. Er ist bestimmt sehr nett.« Mum kniff das Gesicht zusammen, zog die Schultern hoch und sah mich voller Zuneigung an.
»Der
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