Ein Moment fürs Leben. Roman
Preis unglücklich sein?«
»Nein.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Natürlich will ich nicht unglücklich sein.«
»Würdest du bitte mal für einen Moment alle anderen beiseitelassen und dich ausschließlich auf mich konzentrieren?«, schrie er mich an. »Könntest du das zur Abwechslung mal versuchen?«
Natürlich ließ ich mir das nicht zweimal sagen, ich sah ihn sofort an, hundertprozentig aufmerksam, genau wie alle anderen Leute, die sich zufällig in der Nähe aufhielten.
»Ich dachte, du wärst stolz auf mich«, jammerte ich. »Ich hab Zwinker-Quentin verteidigt, auch wenn sich rausgestellt hat, dass es nicht nötig gewesen wäre, trotzdem. Ich hab nicht an mich gedacht, sondern an Quentin, und jetzt haben wir genug Zeit, um zu Blake zu fahren, damit ich ihm sagen kann, dass ich ihn liebe. Es entwickelt sich doch alles … ähm, perfekt.«
Zwar senkte mein Leben jetzt immerhin die Stimme, aber man hörte ihm die Wut an, die unter der Oberfläche blubberte und die er nur mühsam unter Kontrolle halten konnte. »Dein Problem war nie, dass du nicht an andere gedacht hast, sondern im Gegenteil deine Unfähigkeit, an dich selbst zu denken. Aber sosehr du jetzt auch versuchst, das, was du grade getan hast, als selbstlosen Akt der Güte zu verbrämen, das nimmt dir keiner ab. Du bist nicht da reingegangen, weil du Quentin verteidigen wolltest, du bist da reingegangen, um wieder einmal aufzugeben, und ich traue dir durchaus zu, dass du das ganze Theater nur deshalb abgezogen hast, um früher bei Blake sein zu können.«
Wenn ich ehrlich war, konnte ich nicht abstreiten, dass mir das durch den Kopf gegangen war.
»Aber ich liebe ihn«, entgegnete ich lahm.
»Du liebst ihn. Bezahlt deine neuentdeckte Liebe die Rechnungen?«
»Jetzt klingst du schon wie mein Vater.«
»Nein, ich klinge wie ein verantwortungsbewusster Mensch. Weißt du, was das heißt?«
»Ja, es bedeutet, dass ich für alle Ewigkeit unglücklich bin«, versuchte ich mich zu verteidigen. »Während ich mir jetzt die Kontrolle über mein Leben zurückhole.«
»Du holst sie dir zurück? Wer hatte sie dir denn weggenommen?«
Ich machte den Mund auf und schloss ihn wieder. Schließlich sagte ich: »Versuch nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Ich werde schon einen anderen Job finden.«
»Wo?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich muss mich erst mal umschauen, es gibt bestimmt irgendwas Tolles für mich. Etwas, wofür ich eine
Leidenschaft
habe.«
Er stöhnte, als er das Wort hörte. »Lucy, du hast für nichts eine Leidenschaft.«
»Doch, für Blake.«
»Blake bezahlt aber nicht die Rechnungen.«
»Vielleicht schon, wenn wir heiraten und ich Kinder kriege und nicht mehr arbeite«, entgegnete ich. Natürlich war das nur ein Scherz. Glaubte ich jedenfalls.
»Lucy, du hattest einen guten Job und hast ihn weggeschmissen. Herzlichen Glückwunsch. Ich hab die Nase so voll von dir. Wann wirst du endlich erwachsen?« Er sah mich noch einmal an, total enttäuscht, dann drehte er sich um und ließ mich stehen.
»Hey, wo willst du hin?« Ich lief ihm nach, aber er beschleunigte seine Schritte. Am Aufzug holte ich ihn ein. Da wir nicht allein in der Kabine waren, konnten wir nicht weitersprechen; er schaute stur geradeaus, während ich ihn anstarrte und dazu bringen wollte, wenigstens meinen Blick zu erwidern. Dann gingen die Aufzugtüren auf, und er stürzte sofort hinaus. Schließlich waren wir draußen an der kalten Luft.
»Wo läufst du denn hin?«, rief ich. »Wir müssen nach Wexford! Hallo-hooo! Ich folge meinem Traum. Siehst du? Ich habe nämlich sehr wohl Träume«, triumphierte ich, während ich wie ein Hündchen neben ihm her hüpfte.
»Nein, Lucy, du musst zum Essen bei deiner Familie.«
»Du meinst,
wir
müssen zum Essen bei meiner Familie.«
Aber er schüttelte den Kopf. »Ich bin raus.«
Eilig ging er zur Bushaltestelle, im gleichen Augenblick kam ein Bus, mein Leben stieg ein, und weg war er. Ich blieb allein auf dem Parkplatz zurück.
Als ich in meine Wohnung zurückkam, versuchte ich, das zerwühlte Bett zu ignorieren, während ich meine Tasche für Wexford packte. Jetzt, wo ich keinen Job mehr hatte, gab es keinen Grund, mit dem Besuch bei Blake bis morgen Abend zu warten. Hier gab es nun offiziell nichts mehr, was mich hielt, abgesehen von dem Essen bei meinen Eltern heute Abend … und einem Kater. Ich klopfte bei Claire, und während ich wartete, hörte ich von drinnen die Musik von
In the Night Garden
.
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