Ein Moment fürs Leben. Roman
sind Sie schon dabei zu scheitern.«
»Und wie schätzen Sie Ihre Fähigkeiten ein, die Vaterrolle auszufüllen?«, fragte Don, und nun hörte man die Wut auch in seiner Stimme. Er wollte mich beschützen, aber er wusste nicht, worauf er sich da einließ. Er kannte mich erst seit kurzem, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass er mich besser kannte als alle anderen an diesem Tisch. Ich traute meinen Ohren nicht. Ich konnte keinem ins Gesicht sehen und hatte keine Ahnung, was sie alle dachten.
»Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen«, brüllte Vater und stand auf. Er war ein großer Mann, und jetzt wirkte er im Vergleich zu uns, die wir am Tisch saßen, wie ein Riese.
»Samuel«, mahnte Mum leise.
»Lucy hat ihren Job gekündigt, weil sie dort nicht glücklich war«, fuhr Don fort. »Ich kann darin absolut nichts Verwerfliches entdecken.«
»Lucy ist nie glücklich mit ihrer Arbeit. Lucy ist einfach faul. Lucy wird sich niemals wirklich für einen Job engagieren. Sie hat sich nie für irgendetwas eingesetzt. Sie hat alles sausen lassen, was in ihrem Leben jemals von Nutzen war, und es sich mit allen verdorben, die ihr helfen wollten. Wir haben ihr eine ausgezeichnete Schulbildung geboten, die sie nicht im Geringsten zu schätzen wusste, sie haust in einer Wohnung, die nicht größer ist als dieses Zimmer, kurz, sie ist eine Enttäuschung und eine Schande für unsere ganze Familie – und für Sie, ihr Leben, gilt ganz offensichtlich das Gleiche.«
Silchesters weinen nicht. Silchesters weinen nicht. Silchesters weinen nicht. Nach jedem hässlichen Wort, das mein Vater ausstieß, musste ich dieses Mantra wiederholen. Wieder einmal hatte ich mit meiner Paranoia recht gehabt, ich hatte gewusst, dass mein Vater so über mich dachte, und nun sprach er es aus. Vor mir und dem Menschen, den er für mein Leben hielt, der in Wirklichkeit aber ein Mann war, für den ich etwas empfand und der mir am Herzen lag. Das war mehr als verletzend – es war das Schlimmste, was ich je gehört und über mich hatte ergehen lassen müssen. Schlimmer als die Trennung von Blake, schlimmer als jede Entlassung.
»Ich habe genug von Lucys Verhalten, von ihrem Unvermögen, sich zu engagieren. Wir kommen aus einer seit Generationen erfolgreichen Familie. Hier in diesem Zimmer sind es Philip und Riley, die sich als kompetent und hart arbeitend bewährt haben, während Lucy jedes Mal, wenn es darum ging, ein entsprechendes Niveau zu erreichen, kläglich versagt hat, obgleich wir ihr alles ermöglicht haben, was in unserer Macht stand. Sheila, ich habe mich zurückgehalten und zugelassen, dass der Kurs, den du für richtig hältst, eingeschlagen wird, aber jetzt ist deutlich geworden, dass Lucy, wenn man sie sich selbst überlässt, unfähig ist, sich Ziele zu setzen. Deshalb werde ich das in Zukunft für sie erledigen.«
»Lucy ist kein Kind«, wandte Don ein. »Sie ist eine erwachsene Frau. Sie ist sehr wohl in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.«
»Und Sie, Sir«, fuhr mein Vater ihn an, und seine Stimme wurde noch lauter, so dass sie wahrscheinlich durchs ganze Tal hallte, »Sie möchte ich in meinem Haus nicht mehr sehen!«
Stille. Ich konnte kaum atmen.
Als Don aufstand, schrammte sein Stuhl lautstark über den Holzboden. »Es war nett, Sie alle kennenzulernen«, sagte er leise. »Danke für die Gastfreundschaft. Kommst du, Lucy?«
Nur zu gern wäre ich ihm gefolgt, aber ich konnte mich nicht rühren, konnte ihn nicht anschauen, konnte mich mit nichts und niemandem mehr konfrontieren. Wenn ich mich einfach nicht mehr bewegte, vergaßen die anderen vielleicht, dass ich da war. Mir standen heiße Tränen in den Augen, aber ich durfte nicht zulassen, dass sie überliefen, nicht vor ihm, nicht vor sonst jemandem, nie, nie, niemals.
»Ich bringe Sie zur Tür«, sagte meine Mutter. Ihre Stimme war nur ein Flüstern, und auch ihr Stuhl glitt nahezu lautlos über den Boden, als sie aufstand und mit leisen Schritten das Zimmer verließ. Wieder sah ich durch die offene Tür kurz mein Leben auf dem Flur, und sein Gesicht war aschfahl. Ich hatte auch ihn im Stich gelassen.
»Lucy, in mein Büro! Wir müssen einen Plan für dich machen.«
Ich reagierte nicht.
»Dein Vater spricht mit dir«, sagte meine Großmutter.
»Vater, ich finde, du solltest Lucy wenigstens erlauben, fertig zu essen. Ihr könnt das ja nachher besprechen«, sagte Riley mit fester Stimme.
Erlauben?
Was hatte er mir zu
erlauben
?
»Edith kann
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