Ein Moment fürs Leben. Roman
ihr Essen warmhalten, das ist doch irrelevant.«
»Ich hab sowieso keinen Hunger«, sagte ich leise, ohne von meinem Teller aufzuschauen.
»Wir sind nicht enttäuscht von dir, Lucy«, fuhr Riley fort. »Vater macht sich nur Sorgen, er meint das nicht so.«
»Ich habe genau das gesagt, was ich meine«, beharrte Vater, aber er hatte sich gesetzt, und seine Stimme dröhnte nicht mehr ganz so laut.
»Du bist für keinen von uns eine Schande. Lucy, schau mich an«, fuhr Riley fort.
Aber ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Inzwischen war Mum ins Zimmer zurückgekommen, aber sie setzte sich nicht wieder, sondern blieb an der Tür stehen und peilte die Lage, wie jemand, der erst vorsichtig den Zeh ins Wasser hält, ehe er hineintaucht.
»Es tut mir leid«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Es tut mir leid, wenn ich euch alle enttäuscht habe. Danke für das Essen, Edith. Jetzt muss ich leider gehen.« Ich stand auf.
»Setz dich!«, zischte mein Vater, scharf wie eine Peitsche. »Setz dich sofort wieder hin!«
Ich zögerte, ging aber weiter in Richtung Tür. Ohne Mum anzusehen, ging ich an ihr vorbei und schloss leise die Tür hinter mir.
Mein Leben und Don standen nebeneinander auf dem Flur und starrten mich an.
»Tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin«, sagte mein Leben. »Das Taxi hat sich verfahren. Hab ich was verpasst?«
»Soll ich ihm sagen, wo der Perserteppich ist?«, fragte Don.
Beide hatten ein schelmisches Funkeln in den Augen, aber ihre Stimmen klangen sanft. Sie versuchten mich aufzuheitern. Das zumindest brachte mich zum Lächeln.
Kapitel 22
»Don, es tut mir so leid«, sagte ich schnell, ohne zunächst auf mein Leben zu achten. »Ich glaube, das war echt eine blöde Idee. Keine Ahnung, warum ich geglaubt habe, das könnte klappen«, fügte ich, immer noch völlig aufgewühlt, hinzu.
»Jetzt entspann dich erst mal«, sagte er, und ich spürte seine Hand, die mir beruhigend den Rücken rieb.
Nach einer Weile öffnete sich die Tür zum Eichenzimmer, und Mum erschien, die Hand an die Brust gedrückt, als würde ihr das das Atmen erleichtern oder als könnte sie so ihre Gefühle besser in Schach halten – ihr Herz in einen Käfig sperren, damit es sich nicht rührte, nichts fühlte, sondern nur pumpte, um sie am Leben zu erhalten, ausdruckslos, ohne inneren Tumult, immer angemessen. »Lucy, Schätzchen«, begann sie, bemerkte dann die beiden Männer und sagte – und das, nachdem sie sich so auf ihn vorbereitet hatte – zu meinem Leben: »Oh, hallo. Sie sind sicher der Teppichreiniger.« Es war absurd.
»Genaugenommen bin
ich
der Mann von der Teppichreinigung«, mischte Don sich ein und zog schnell die Jacke aus, die das Teppichemblem auf seinem T-Shirt verdeckt hatte. »
Er
ist Lucys Leben.«
»Oh«, staunte meine Mutter, ohne die Hand von der Brust zu nehmen. Sie wirkte kein bisschen verlegen, obwohl es ihr doch unangenehm sein musste, dass sie mein Leben für den Teppichreiniger gehalten hatte.
»Mum, das ist Don«, sagte ich. »Don ist ein guter Freund, einer von der Sorte, die sich in letzter Minute entschließt einzuspringen, weil unser Gast es nicht geschafft hat und ich euch nicht alle im Stich lassen wollte. Es tut mir leid, Mum, ich hab es einfach nicht fertiggebracht, euch zu sagen, dass er nicht kommt, weil ihr euch alle so gefreut habt.«
»Mir tut es leid, was da drin passiert ist«, sagte Don bescheiden und zerknirscht.
»Es war meine Idee«, fügte ich entschuldigend hinzu, noch immer ein wenig zittrig. Am liebsten wäre ich einfach verschwunden, aber ich wusste nicht, wie.
»Wir sollten alle zusammen eine Tasse Tee trinken«, schlug Edith vor, die plötzlich auftauchte. Anscheinend hatte sie an der Küchentür gestanden und gelauscht.
»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte Mum, aber ich war nicht sicher, ob sie den Tee mehr für sich oder für mich wollte. »Ich bin übrigens Sheila, Lucys Mum«, stellte sie sich vor und streckte meinem Leben die Hand hin. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Und Don«, fügte sie mit einem warmen Lächeln hinzu, »es war wirklich schön, Sie bei uns zu haben. Tut mir leid, dass unsere Gastfreundlichkeit nicht so funktioniert hat, wie ich es mir gewünscht hätte, aber Sie sind trotzdem herzlich zu unserem Hochzeitstag eingeladen.«
Mir war das höfliche Geplauder nahezu unerträglich. Edith schüttelte meinem Leben und Don die Hand, bot ihnen Tee an und diskutierte mit ihnen über verschiedene Kekssorten. An der Art, wie Mum
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