Ein Moment fürs Leben. Roman
glitt die Tür wieder auf, und der Buggy kam zum Vorschein. Die Frau manövrierte ihn in die enge Kabine, und ich wurde von der riesigen, völlig überladenen Babytasche, die sie über der Schulter trug, beinahe wieder auf den Korridor hinausgedrängt. »Also echt, ich brauche jeden Tag länger, um aus der Wohnung zu kommen«, sagte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ich lächelte – etwas verwirrt, weil sie mit mir redete, denn das taten wir sonst nie –, dann beobachtete ich die Leuchtziffern im Hinunterfahren.
»Hat er Sie letzte Nacht gestört?«
Ich schaute in den Buggy. »Nein.«
Die Frau machte ein erstauntes Gesicht. »Ich war die halbe Nacht auf den Beinen, weil er geschrien hat wie am Spieß. Ich dachte, gleich klopft das ganze Haus an meine Tür. Er kriegt grade Zähne, der arme Kleine, seine Backen sind knallrot.«
Wieder schaute ich auf den Buggy hinunter. Aber ich sagte nichts.
Die Frau gähnte. »Aber wenigstens ist das Wetter diesen Sommer ganz schön. Es gibt nichts Schlimmeres, als den ganzen Tag mit einem Baby eingesperrt zu sein.«
»Ja«, sagte ich, als die Tür endlich wieder aufging. »Schönen Tag«, fügte ich hinzu und rannte schnell hinaus, ehe sie das Gespräch noch bis nach draußen verlängerte.
Wahrscheinlich hätte ich zu Fuß zu dem Bürogebäude gehen können, wo ich mit meinem Leben verabredet war, aber ich nahm ein Taxi, weil der süße Typ um diese Zeit nicht in der Bahn sein würde und ich mich nach dem gestrigen Ausflug in die Hügel nicht auf Sebastian verlassen konnte. Außerdem war ich nicht ganz sicher, wo ich hinmusste, und es gibt kaum etwas Schlimmeres, als wenn man seinem Leben mit Blasen an den Füßen und verschwitzten Achselhöhlen begegnet. Das Gebäude war schon aus einer Meile Entfernung zu sehen, ein bedrückender brauner Hochhausklotz mit Stahlfenstern, dessen Architektur nur allzu deutlich verriet, dass er aus den Sechzigern stammte, einer Zeit, in der Lego-Konstruktionen noch akzeptabel waren. Heute, am Sonntag, war es verlassen, und auch der Parkplatz daneben war leer bis auf ein einziges Auto mit einem platten Reifen, das deshalb nicht mehr wegfahren konnte. Auch das Wachhäuschen war unbesetzt, die Schranke offen. Niemanden hätte es gekümmert, wenn das ganze Ding in die Luft gehoben und auf einen anderen Planeten gebracht worden wäre, bestimmt hätte keiner es vermisst, hässlich und trostlos, wie es war. Drinnen roch es feucht und nach Vanille-Raumspray. Die kleine Lobby wurde von einer Empfangstheke beherrscht, die so hoch war, dass ich nur die Spitze eines mit reichlich Spray hochtoupierten Haarturms sehen konnte. Als ich näher kam, wurde mir klar, dass das, was ich für Raumspray gehalten hatte, in Wirklichkeit Parfüm war. Die Frau, die zu dem Haarturm gehörte, lackierte sich gerade die Fingernägel, wobei sie den blutroten Lack so dick auftrug, dass sich die zähflüssige Masse kaum mehr verteilen ließ. Dabei sah sie sich auf einem kleinen Fernseher, der auf ihrem Schreibtisch stand,
Columbo
an.
»Eine Frage hätte ich noch«, hörte ich Columbo sagen.
»Ach ja«, kicherte die Frau, sah mich zwar nicht an, nahm aber meine Anwesenheit durchaus zur Kenntnis. »Er weiß längst, dass der es gewesen ist, das merkt man doch.« Es war die American-Pie-Frau, mit der ich telefoniert hatte. Während Columbo den Mörder um ein Autogramm für seine Frau bat, wandte sie sich endlich mir zu. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wir haben vor ein paar Tagen telefoniert. Mein Name ist Lucy Silchester, ich habe einen Termin mit meinem Leben.« Ich stieß ein zu hohes Lachen aus.
»O ja, jetzt erinnere ich mich. Lucy Silchester. Haben Sie schon die Teppichreinigung angerufen?«
»Oh … nein, noch nicht.«
»Na, dann aber mal los! Ich kann es Ihnen wirklich nur empfehlen«, sagte sie und schob mir eine Visitenkarte über den Tisch zu. Ich war nicht sicher, ob sie die Karte eigens für mich mitgebracht hatte oder ob sie so begeistert von der Firma war, dass sie ständig einen Koffer voller Karten mit sich rumschleppte und an Passanten verteilte. »Versprechen Sie mir, dass Sie es bald machen, ja?«
Amüsiert von ihrer Hartnäckigkeit, stimmte ich zu.
»Ich sage ihm nur kurz Bescheid, dass Sie da sind.« Sie griff zum Telefon. »Lucy ist da, zu ihrem Termin.« Ich spitzte die Ohren, konnte von der Antwort aber leider nichts hören. »Ja, dann schicke ich sie gleich hoch.« Sie wandte sich wieder mir zu: »Fahren Sie mit dem Aufzug in
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