Ein Moment fürs Leben. Roman
heiraten, zum einen, weil er ein Mann ist und bei mir zu Hause eine geradezu bizarre Doppelmoral herrscht, zum anderen, weil meine Mutter ihn abgöttisch liebt und ihr keine Frau gut genug für ihren Sohn ist. Zwar nörgelte sie nicht an seinen Freundinnen herum, aber sie hatte eine sehr klare Art, deren Schwächen auf den Punkt zu bringen, in der Hoffnung, in Rileys Kopf damit für immer die Saat des Zweifels zu säen. Mehr Erfolg hätte sie wahrscheinlich, wenn sie Riley als kleinem Jungen immer wieder ein Bild von einer Vagina gezeigt und dabei jedes Mal den Kopf geschüttelt oder abschätzig mit der Zunge geschnalzt hätte. Mum fand es toll, dass ihr ältester Sohn in einer eleganten Junggesellenbude in der City hauste, und sie besuchte ihn gelegentlich am Wochenende, was für sie sonderbarerweise ein kolossal prickelndes Erlebnis zu sein schien. Wenn Riley schwul wäre, würde sie ihn vielleicht noch mehr lieben, denn dann hätte sie keine Konkurrentinnen – und außerdem sind Schwule heutzutage so cool. Das hatte ich sie mal sagen hören.
Mit einem Tablett Hummercocktails kam Mum jetzt zum Tisch zurück. Eins davon, für mich, war aber nur mit Melone – nachdem es mal bei einem Lunch bei den Horgans einen Meerestier-Vorfall gegeben hatte, an dem ein Langostino, ein Notarzt und ich beteiligt gewesen waren.
Ich schaute verstohlen auf die Uhr, aber Riley merkte es.
»Spann uns doch bitte nicht so auf die Folter, Mum – was hast du uns mitzuteilen?«, sagte er auf seine formvollendete Art, die alle aus ihren Grübeleien riss und in die Gegenwart zurückholte. Riley konnte einfach gut mit Menschen umgehen.
»Ich möchte nichts, ich mag keinen Hummer«, verkündete Großmutter und schubste ihren Teller von sich, noch ehe er ganz auf dem Tisch gelandet war.
Mum schaute ein bisschen verzagt drein, erinnerte sich dann aber daran, warum wir alle hier versammelt waren, und blickte zu unserem Vater hinüber, der jedoch immer noch in seine Zeitung vertieft war und gar nicht merkte, dass vor ihm ein Hummer erschienen war. Mum setzte sich, offensichtlich war sie ziemlich aufgeregt. »Okay, dann sag ich es ihnen«, erklärte sie, als hätte sie gerade mit meinem Vater diskutiert. »Also – wie ihr ja alle wisst, haben wir im Juli unseren fünfunddreißigsten Hochzeitstag«, begann sie und sah uns alle mit einem Blick an, der fragte:
Wo ist nur die Zeit geblieben?
»Und zur Feier dieses Ereignisses haben euer Vater und ich …« – mit strahlenden Augen sah sie in die Runde – »… uns entschlossen, unser Gelübde zu erneuern!« Bei den letzten drei Worten überschlug sich ihre Stimme vor Aufregung, und der Satz endete mit einem hysterischen Quietschen. Sogar Vater senkte die Zeitung, sah seine Frau fragend an, bemerkte den Hummer, faltete die Zeitung zusammen und begann kommentarlos zu essen.
»Wow«, sagte ich.
In den letzten zwei Jahren hatten sehr viele meiner Freunde geheiratet. Es war wie eine Epidemie – sobald ein Paar heiratete, verlobten sich gleich eine Menge anderer und zockelten ebenfalls zum Altar wie aufgeplusterte Pfauen. Ich kannte vernünftige, moderne Frauen, die sich in zwanghafte Fanatikerinnen verwandelt hatten, wild entschlossen, genau den Traditionen und Klischees zu entsprechen, die sie ihr ganzes bisheriges Erwachsenenleben bekämpft hatten. Ich hatte in unvorteilhaften, danebenfarbenen Kleidchen an vielen solchen Ritualen teilgenommen, doch das hier war etwas anderes. Hier ging es um meine Mutter, und das bedeutete, es war erheblich schlimmer. Es war geradezu katastrophal.
»Philip, mein Schatz, Daddy hätte dich gern als Trauzeugen.«
Philip wurde rot und schien auf seinem Stuhl dreißig Zentimeter zu wachsen. Schweigend senkte er den Kopf – die Ehre war so groß, dass er kein Wort herausbrachte.
»Riley, mein Schatz, würdest du mich zum Altar führen und weggeben?«
»Ich versuche ja schon seit Jahren, dich endlich loszuwerden«, grinste Riley.
Alle lachten, auch meine Großmutter, die jeden Witz liebte, der auf Kosten meiner Mutter ging. Ich schluckte, denn ich wusste, was nun kommen würde. Ich wusste es genau. Prompt schaute Mum mich an, und ich konnte nur einen Mund sehen, einen großen lächelnden Mund, der das ganze Gesicht einnahm, weil er Augen und Nase aufgefressen hatte. »Schätzchen, wärst du bereit, meine Brautjungfer zu sein? Vielleicht könnten wir deine Haare wieder genauso frisieren, das ist so hübsch.«
»Dann kriegt sie eine Erkältung«, meinte
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