Ein Moment fürs Leben. Roman
gemietet.«
»Ich wollte Sie bloß testen«, behauptete ich mit einem schwachen Lächeln.
»Es wäre hilfreich, wenn Sie mich nicht anlügen würden.«
»Wenn unterm Strich das Gleiche rauskommt, ist es keine Lüge.«
Sein Gesicht hellte sich etwas auf, soweit ihm das möglich war. Eigentlich sah er bestenfalls etwas weniger trostlos aus.
»Erklären Sie mir mal, wie das geht.«
»Okay, wenn ich zum Beispiel sagen würde, ich hab im Lotto gewonnen, dann wäre das eine glatte Lüge, weil ich offensichtlich überhaupt kein Geld habe, aber wie ein Millionär leben müsste, was kompliziert wäre, um es mal vorsichtig auszudrücken. Aber wenn ich sage, ich hab meinen Job gekündigt, ist es egal, weil ich ja wirklich nicht mehr dort arbeite und auch nicht jeden Tag hingehe, um den Schein aufrechtzuerhalten. Wenn ich sage, ich hab eine neue Wohnung gekauft, ist das keine Lüge, weil ich ja tatsächlich nicht mehr in der alten Wohnung wohne, sondern in einer neuen.«
»Und das, was Sie vorhin gesagt haben?«
»Was hab ich vorhin gesagt?«
»Na, über Ihren Freund.«
»Das ist das Gleiche.« Zu meiner eigenen Überraschung fiel mir die Antwort schwer, weil ich ja wusste, was er von mir erwartete. »Wenn ich sage, dass … dass ich ihn abserviert habe, ist es das Gleiche, wie wenn … na ja, Sie wissen schon … das Gleiche, wie wenn es umgekehrt gewesen wäre, also dass …«
»Dass er Sie verlassen hat.«
»Hm, ja.«
»Weil …«
»Weil das Ergebnis das gleiche ist.«
»Und zwar …«
»Dass wir nicht mehr zusammen sind.« Auf einmal hatte ich Tränen in den Augen. Ich hasste meine Augen, diese verräterischen Fieslinge. Gedemütigt ist gar kein Ausdruck für das, wie ich mich fühlte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal wegen Blake geweint hatte, ich war so über ihn hinweg, dass ich mir diesen Ausrutscher nicht mal annähernd erklären konnte. Es war eine ähnliche Situation, wie wenn man immer wieder gefragt wird, was denn los ist: Oft bekommt man dann plötzlich das Gefühl, dass wirklich etwas los ist, und dann ärgert man sich und möchte den Frager am liebsten ohrfeigen. Genau das passierte mir jetzt auch: Ich war sauer, weil er mir die ganzen Würmer aus der Nase zog. Weil er mich dazu brachte, diese Dinge laut auszusprechen, womit er natürlich nichts anderes bezweckte, als mich reinzulegen und mir das Geständnis abzuluchsen, dass ich mich mit ihnen nicht genügend auseinandergesetzt hatte. Leider sah es ganz danach aus, als wäre seine Strategie erfolgreich, und die Person, für die er mich hielt, deprimierte mich. Aber so war ich nicht. Mir ging es gut. Alles war bestens.
Hastig, ehe die Tränen überquollen, wischte ich mir die Augen trocken. »Ich bin nicht traurig«, verkündete ich wütend.
»Okay.«
»Überhaupt nicht.«
»Okay«, wiederholte er achselzuckend. »Dann erzählen Sie mir doch mal von Ihrem Job.«
»Ich liebe meine Arbeit«, begann ich. »Sie ist ungeheuer befriedigend. Ich arbeite gern mit Menschen, ich liebe die Kommunikation mit den Kunden, die innovative Geschäftsumgebung. Ich spüre, dass ich etwas Wichtiges tue, dass ich Menschen helfe, mit ihnen in Verbindung trete, sie auf den richtigen Weg bringen und ihnen Unterstützung geben kann. Natürlich hat meine Arbeit ein großes Plus …«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Können wir bitte kurz klarstellen, was genau Sie machen?«
»Ja.«
Er schaute auf seine Papiere und las vor: »Sie übersetzen Gebrauchsanweisungen für Ihre Firma?«
»Ja.«
»Und Ihre Firma stellt Kühlschränke, Herde, Backöfen und solche Sachen her?«
»Ja, es ist die größte Haushaltsgerätefirma Europas.«
»Okay, fahren Sie fort.«
»Danke. Wo war ich? Natürlich hat meine Arbeit ein großes Plus durch die Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite. Sie sind für mich eine ständige Inspiration und Motivation, nicht nur in professioneller, sondern vor allem auch in persönlicher Hinsicht, für mein ganzes Leben.«
»Okay«, er rieb sich die Stirn. Die Haut war schuppig. »Diese Leute, mit denen Sie arbeiten, nennen Sie privat Checker-Graham, Zwinker-Quentin, Louise die Ausquetsch-Tuss, Mary-Maus, Steve die Wurst und Edna Fischgesicht.«
Ich zuckte nicht mit der Wimper, denn ich war selbst ziemlich beeindruckt von meinen phantasievollen Spitznamen. »Ja.«
Er seufzte. »Lucy, Sie lügen schon wieder, stimmt’s?«
»Eigentlich nicht. Diese Leute wollen mich wirklich zu einem besseren Menschen
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