Ein Moment fürs Leben. Roman
können, er würde mir leibhaftig an seinem Stammplatz an der Spitze der Tafel gegenübersitzen. Seit vor zwanzig Minuten der Hauptgang serviert worden war, gab es kein anderes Gesprächsthema, und da ich ahnte, dass es gut und gerne noch einmal zwanzig Minuten in diesem Stil weitergehen konnte, stopfte ich mir so viel Salat in den Mund, wie ich nur konnte. Silchesters redeten nämlich nicht mit vollem Mund, also brauchte ich mich, abgesehen von einem gelegentlichen interessierten Nicken und einer angemessen hochgezogenen Augenbraue, nicht zu beteiligen. Die anderen unterhielten sich über die Sendung von gestern Abend, in der Blake durch Indien gereist war. Ich hatte sie auch gesehen und gehofft, dass Jenna den Delhi-Bauch gekriegt hatte und nicht mehr vom Klo runtergekommen war. Unaufhörlich redeten sie von den Dingen, die er gesagt, die er gesehen, die er angehabt hatte, und dann regten sie sich liebevoll über seine gefühlsduselige Schlussbemerkung und über den kitschigen Blick in die Kamera auf, und natürlich auch über das charakteristische Zwinkern, das unweigerlich darauf folgte und mein absoluter Lieblingsmoment war. Aber davon wussten die anderen natürlich nichts.
»Wie fandest du es denn, Lucy?«, fragte Adam, womit er das gesamte Gespräch zum Stillstand brachte und mich plötzlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte.
Ich brauchte eine Weile, um meine Salatblätter zu kauen und zu schlucken. »Ich hab die Sendung nicht gesehen«, log ich und stopfte mir schnell frischen Salat in den Mund.
»Oooh«, witzelte Chantelle. »Sie ist so kalt.«
Ich zuckte die Achseln.
»Schaust du dir seine Sendung überhaupt manchmal an?«, wollte Lisa wissen.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich den Sender reinkriege. Ich hab’s noch nie probiert.«
»Ach, den hat doch jeder«, meinte Adam.
»Ach so?« Ich grinste.
»Ihr wolltet die Reise eigentlich zusammen machen, stimmt’s?«, bohrte Adam weiter, beugte sich über den Tisch und konzentrierte all seine Energie auf mich.
Zwar tat Adam immer so, als würde er Witze machen, aber selbst nach fast drei Jahren war er immer noch gekränkt, dass ich seinen besten Freund verlassen hatte. Wenn ich nicht das Ziel seiner Aggression gewesen wäre, hätte ich seine Loyalität wesentlich mehr bewundert. Keine Ahnung, wie Blake es geschafft hatte, in Adam eine so unerschütterliche Hingabe zu erzeugen, aber was immer er gesagt, welche Krokodilstränen er vor ihm vergossen haben mochte, es hatte gewirkt, und ich war Staatsfeind Nummer eins geworden. Ich wusste es, und Adam wollte es mich insgeheim auch wissen lassen, aber anscheinend merkte es sonst niemand. Da war sie wieder, meine Paranoia, aber in diesem Fall war ich sicher, dass meine Einschätzung stimmte.
»Ja«, nickte ich Adam zu. »Wir wollten damit seinen dreißigsten Geburtstag feiern.«
»Und jetzt hast du ihn allein fahren lassen, du grausames Biest«, stellte Lisa trocken fest, und alle lachten.
»Mit einer Film-Crew«, fügte Melanie hinzu, sozusagen zu meiner Verteidigung.
»Und Bräunungsspray, wie es aussieht«, fügte Jamie hinzu, und wieder lachten alle.
Und mit Jenna. Der australischen Schlampe.
Aber ich zuckte wieder nur die Achseln. »Das hat man davon, wenn man mir zum Frühstück Spiegeleier statt pochierte Eier ans Bett bringt. Falsches Frühstück im Bett, das geht überhaupt nicht.«
Gelächter überall am Tisch, nur nicht von Adam. Er schaute mich zur Verteidigung seines Freundes wütend an. Ich schaufelte mir noch mehr Salat in den Mund und schaute auf Melanies Teller, ob ich da etwas stibitzen konnte. Wie üblich hatte sie ein reichhaltiges Angebot, und ich spießte schnell eine Cocktailtomate auf, an der ich mindestens zwanzig Sekunden kauen konnte. Aber sie platzte in meinem Mund auf, die Kerne spritzten mir in den Hals, und ich musste würgen. Keine besonders coole Reaktion. Melanie reichte mir ein Glas Wasser.
»Na ja, er hat es nicht allzu schlimm getroffen, immerhin sind wir an seinem Dreißigsten in Vegas gelandet«, verkündete Adam und warf mir einen vielsagenden Blick zu, der mich schlicht umbrachte. Die Jungs tauschten freche Blicke, mit denen sie wie auf Knopfdruck ihre gemeinsame Erinnerung an ein verrücktes Wochenende wachriefen, von dem nie jemand Einzelheiten erfahren würde. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn ich mir Blake in einer Bar vorstellte, wie eine Stripperin ihm den Pernod vom Bauch leckte und Oliven aus seinem Bauchnabel
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