Ein Moment fürs Leben. Roman
mochte.
»Edna, was ist denn hier los?«
Ihr Gesicht war schlohweiß, sie wirkte konfus und wusste nicht, was sie tun sollte. Die Stimmen draußen näherten sich und wurden lauter, ein Krachen ertönte, als würde ein Körper an die Wand geschleudert, dann hörten wir einen Schmerzensschrei, und alle sprangen erschrocken auf. Doch nun legte Edna endlich einen anderen Gang ein, erinnerte sich, dass sie hier die Chefin war, und ordnete mit fester Stimme an: »Ich möchte, dass ihr alle unter euren Schreibtischen in Deckung geht. Augenblicklich!«
»Edna, was ist denn …«
»Unter den Tisch, sofort, Lucy!«, schrie sie, und wir warfen uns alle auf den Boden und krochen unter unsere Schreibtische.
Von meinem Versteck aus konnte ich Mary unter ihrem Tisch kauern sehen, sie wiegte sich vor und zurück und weinte leise. Graham, der ganz in ihrer Nähe war, streckte die Hand aus, um sie zu trösten und zum Schweigen zu bringen. Louise konnte ich nicht sehen, sie war auf der anderen Seite des Raums, während Quentin mucksmäuschenstill auf dem Boden hockte und ein Foto von einem Familienpicknick anstarrte, auf dem er seinen Sohn auf den Schultern trug, seine Frau die Tochter auf dem Arm hielt und er noch den Großteil seiner Haare hatte. Unwillkürlich überlegte ich, ob er damals wohl glücklicher gewesen war, und wenn ja, ob es den Haaren zu verdanken war. Wenn ich den Hals ein bisschen reckte, konnte ich auch Edna sehen, wie sie dastand, tief ein- und ausatmete, an ihrem Jackett zupfte, atmete, wieder am Jackett zupfte. Alle paar Sekunden sah sie mit entschlossenem Gesicht zur Tür, als würde sie es mit jedem Eindringling aufnehmen, aber dann wurde sie wieder unsicher, atmete tief aus und ein und zupfte am Jackettsaum. Und ich? Ich konnte nur auf meinen Bohnensalat starren, der mir in dem ganzen Tumult auf den Boden gefallen war, und auf der Suche nach der dritten Bohnensorte eine Bohne nach der anderen durchgehen. Kidneybohne, Tomate, Mais, Paprika, Kichererbse, Kidneybohne, rote Zwiebel, Salat, Kichererbse, Tomate. Nur so konnte ich mich davon abhalten, das zu tun, was sowohl mein Körper als auch mein Geist tun wollten, nämlich auszuflippen.
Das Geschrei und Gepolter wurde immer lauter. Wir sahen Leute an unserem Fenster vorbeirennen, Frauen mit ihren Schuhen in der Hand, Männer ohne Jackett, alle liefen, so schnell sie konnten. Warum ergriffen wir nicht auch einfach die Flucht? Meine Frage wurde umgehend beantwortet. Ich sah nämlich jemanden in die entgegengesetzte Richtung rennen wie die Flüchtigen. Eine vertraute Gestalt, die direkt auf unsere Tür zuhielt, verfolgt von einer Gruppe von Sicherheitsleuten. Dann wurde unsere Tür aufgerissen.
Es war Steve. Steve die Wurst.
Er hatte seine Aktentasche in der Hand, sein Jackett war am Ärmel zerrissen, Blut strömte aus einer Wunde auf seiner Stirn. Ich war so schockiert, dass ich keinen Ton herausbrachte, und ich schaute zu Quentin hinüber, um mich zu vergewissern, dass er das Gleiche sah wie ich, aber er hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, seine Schultern zuckten, und er weinte lautlos. Zuerst war ich erleichtert – es war ja nur Steve! Ich wollte schon unter dem Tisch hervorkommen und ihm entgegeneilen, da schleuderte er seine Tasche zu Boden, schleifte den nächstbesten Schreibtisch zur Tür und verrammelte sie. Völlig außer Atem hob er dann seine Tasche wieder auf und schleppte sich keuchend zu seinem Schreibtisch.
»Mein Name ist Steve Roberts«, brüllte er. »Ich arbeite hier! Mein Name ist Steve Roberts, und ich arbeite hier! Ihr könnt mich nicht einfach rausschmeißen.«
Als die anderen begriffen, wer hereingekommen war, krochen sie langsam aus ihrer Deckung.
Graham war als Erster auf den Beinen. »Steve, Mann, was hast du …«
»Komm mir nicht zu nahe, Graham«, rief Steve, noch immer atemlos. Das Blut tropfte von seiner Nase, rann über sein Kinn, hinunter auf sein Hemd. »Die können mir meinen Job nicht wegnehmen. Ich möchte mich nur an meinen Schreibtisch setzen und arbeiten. Sonst nichts. Jetzt geht bitte zurück. Du auch, Mary, du auch, Louise.«
Quentin war immer noch unter dem Schreibtisch. Ich stand auf.
»Steve, bitte hör auf«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Damit handelst du dir nur Schwierigkeiten ein. Denk doch an deine Frau und deine Kinder.«
»Denk an Teresa«, fügte Graham als persönliche Note hinzu. »Komm, du willst sie doch nicht im Stich lassen«, sagte er sanft zu ihm.
Offensichtlich drang er
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