Ein Moment fürs Leben. Roman
beharrte er, ging auf Edna zu, und brüllte ihr ins Gesicht, so dass sie bei jedem Wort zusammenzuckte: »Es ist mein Büro, und Sie müssen mich reinlassen. Das ist das Letzte, was Sie hier tun, dann können Sie sofort Ihre Sachen packen und verschwinden!« Sein Verhalten war einschüchternd, und obwohl wir zu sechst waren und noch zwei weitere Männer in Ednas Büro saßen, waren wir wie gelähmt, starr vor Angst vor einem Mann, den wir doch zu kennen glaubten, obwohl wir ihn gemeinsam sicher hätten überwältigen können.
»Steve, geh da nicht rein«, sagte Graham.
Verwirrt sah Steve ihn an. »Warum? Wer ist denn da drin?«
»Lass es einfach, okay?«
»Jemand ist da drin, stimmt’s? Wer?«
Graham schüttelte stumm den Kopf.
»Quentin, wer ist da drin?«
Jetzt erst merkte ich, dass auch Quentin unter dem Schreibtisch hervorgekommen war.
»Sagen Sie denen da drin, sie sollen rauskommen«, befahl er Edna.
Sie rang die Hände. »Das kann ich nicht«, sagte sie nur. Sie hatte aufgegeben, ihr Selbstbewusstsein war wie weggeblasen.
»Quentin, mach mir die Tür auf.«
Quentin sah mich an. Was sollte ich tun?
»Mach die verdammte Tür auf!«, schrie Steve, und Quentin sauste los, machte langsam die Tür auf und rannte, ohne hineinzusehen, sofort wieder zu seinem Schreibtisch zurück, um nicht zwischen die Fronten zu geraten.
Steve ging zur Tür und spähte in Ednas Büro. Dann fing er laut an zu lachen. Aber es war kein fröhliches Lachen, sondern verrückt und beunruhigend.
»Raus!«, sagte er zu den Männern, die sich dort versteckt hatten.
»Schauen Sie, Mr …« Michael O’Connor schaute Edna hilfesuchend an.
»Roberts«, flüsterte sie.
»Sie kennen nicht mal meinen Namen«, kreischte Steve mit hochrotem Kopf. Seine Nase war blutig, der Fleck auf seinem Hemd breitete sich immer mehr aus. »Er weiß nicht mal meinen Namen«, rief er uns zu. »Gestern haben Sie mein Leben zerstört, und heute kennen Sie nicht mal mehr meinen Namen«, schrie er O’Connor an. »Mein Name ist Steve Roberts, und ich arbeite hier!«
»Wir sollten uns alle beruhigen. Vielleicht können wir die Tür aufmachen und denen draußen sagen, dass hier alles in Ordnung ist. Dann besprechen wir in Ruhe, was passiert ist und was wir jetzt tun können.«
»Und wer ist das?«, fragte Steve und sah Augusto an.
»Das ist … er spricht kein Englisch, MrRoberts.«
»Mein Name ist Steve«, rief er. »Lucy!«, brüllte er dann, und mein Herz hörte einen Moment auf zu schlagen. »Komm her. Du kannst doch alle möglichen Sprachen, also frag ihn, wer er ist.«
Ich rührte mich nicht. Quentin sah mich beklommen an, und auf einmal war mir klar, dass er Bescheid wusste.
»Das ist Augusto Fernández von unserem Büro in Deutschland, er besucht uns heute«, erklärte ich mit ersterbender Stimme.
»Augusto … von Ihnen hab ich schon gehört. Sie sind der Typ, der mich gefeuert hat«, sagte Steve, und man hörte, wie sich seine Aufregung wieder steigerte. »Sie sind der Scheißkerl, der mich gefeuert hat. Hm, ich weiß, was ich mit Ihnen mache.«
Mit raschen Schritten ging Steve auf den Spanier zu, und es sah aus, als wollte er ihn schlagen.
Im letzten Moment wollte Michael O’Connor Steve packen, aber der war schneller, versetzte O’Connor einen Fausthieb in den Magen, so dass er in Ednas Büro zurücktaumelte, mit dem Kopf gegen den Schreibtisch knallte und zu Boden stürzte. Doch das bemerkte Steve wahrscheinlich gar nicht. Er war dicht vor Augusto stehen geblieben, und wir warteten auf einen Kopfstoß, einen Kinnhaken, irgendetwas, was dieses perfekte sonnenverwöhnte spanische Gesicht übel zurichten würde, aber nichts dergleichen geschah.
»Bitte geben Sie mir meinen Job zurück«, sagte Steve stattdessen, so sanft, dass es mir fast das Herz brach. Inzwischen war ihm auch ein wenig von dem Blut in den Mund gelaufen, und es spritzte, wenn er sprach. »Bitte.«
»Das kann er nicht, MrRoberts«, sagte Michael O’Connor von drinnen, und man hörte seiner Stimme an, dass er Schmerzen hatte.
»O doch, das kann er. Geben Sie mir meinen Job zurück, Augusto. Lucy, sag ihm, er soll mir meinen Job zurückgeben.«
Ich schluckte. »Äh …« Doch sosehr ich auch nach Worten suchte, nach alldem, was ich gelernt hatte – es war alles verschwunden.
»Lucy!«, brüllte Steve ungeduldig und griff in seine Tasche. Ich dachte, er suchte ein Taschentuch, denn es wäre ja durchaus normal gewesen, wenn er sich das Blut hätte abwischen
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