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Ein Moment fürs Leben. Roman

Ein Moment fürs Leben. Roman

Titel: Ein Moment fürs Leben. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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unsichtbar zu machen, als würde ich verfolgt. Während ich wartete, sah ich, wie ein Sicherheitsmann, der ungefähr zweimal so breit war wie mein Leben, sich bedrohlich vor ihm aufbaute. Doch mein Leben griff in den Rucksack und zog ein paar Papiere heraus, die der Security-Mann mit spitzen Fingern entgegennahm, als wäre es ein Stück vergammelter Fisch, und durchlas. Dann sah der Mann zu mir herüber, schaute wieder auf die Papiere, musterte erneut mein Leben, gab ihm schließlich die Papiere zurück und ging zu seinem Tisch. Dort drückte er auf den Knopf, und die Barriere öffnete sich.
    »Danke!«, rief mein Leben und grinste mich selbstzufrieden an, als der Sicherheitsmann ihn durchwinkte. Schweigend fuhren wir in dem vollbesetzten Aufzug nach oben. Als ich ins Büro trat, waren die üblichen Verdächtigen bereits anwesend, steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich offensichtlich über mich, denn sobald sie mich entdeckten, verstummten sie und schauten auf. Sofort richteten sich alle Blicke auf mein Leben. Und wanderten dann zurück zu mir.
    »Hi, Lucy«, sagte Quetschi. »Ist das dein Anwalt?«
    »Warum, brauchst du einen für deine Hochzeit?«, fragte ich gehässig.
    Dass Graham nicht lachte, irritierte mich ein wenig, denn sonst lachte er ja immer über meine blöden Witze. Ich fragte mich, ob das bedeutete, dass er mich auch nicht mehr mit seinen sexuellen Avancen belästigen würde, und auch das beunruhigte mich. Meine Antwort war eine billige Retourkutsche gewesen, aber in Wirklichkeit verschleierte sie nur die Tatsache, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich hatte eine Menge Zeit gehabt, darüber nachzugrübeln, wie ich den Leuten mein Leben vorstellen konnte, aber abgesehen davon, ihn Cosmo zu nennen – was vermutlich mehr Fragen als Antworten hervorgerufen hätte –, war mir noch keine Geschichte eingefallen. Nur eine einwandfreie Lüge. Genaugenommen fielen mir jede Menge einwandfreie Lügen ein: Er war ein todkranker Patient, dessen letzter Wunsch es war, noch ein bisschen Zeit mit mir zu verbringen, er war ein Cousin von außerhalb, er war ein College-Student, der ein bisschen Erfahrung suchte, er war ein psychisch kranker Freund, der einen Tag Ausgang hatte, er war ein Journalist, der einen Artikel über moderne berufstätige Frauen schrieb und mich als Versuchsperson ausgesucht hatte. Bestimmt hätten alle diese Lügen funktioniert, aber mein Leben hätte sie nicht gebilligt. Aber sosehr ich mir auch den Kopf zerbrach, ich musste mir eingestehen, dass es wahrscheinlich in der gesamten Menschheitsgeschichte nie eine Lüge gegeben hatte und auch nie eine geben würde, die mein Leben akzeptiert hätte. Schließlich rettete Edna mich aus der Belagerung der Blicke, unausgesprochenen Fragen und Vorwürfe, indem sie mich in ihr Büro rief, wo mir vermutlich das Gleiche blühte, aber immerhin nicht in zahlenmäßiger Überlegenheit, und mit ihr allein konnte ich es aufnehmen. Als ich mich auf den Weg machte, lächelte ich den anderen zu, freundlich und entschuldigend, weil ich sie verlassen musste. An der Tür wandte ich mich noch einmal zu meinem Leben um und fragte leise: »Wartest du hier draußen?«
    »Nein, ich komme mit«, entgegnete er in normaler Lautstärke, was mich von weiteren Wortmeldungen abhielt.
    Ich betrat also Ednas Büro und setzte mich an den runden Tisch am Fenster. In einer großen schlanken Vase stand eine künstliche weiße Rose, und hinter dem Schreibtisch prangte unübersehbar ein Exemplar von
Ulysses
auf dem Regal – zwei Punkte auf meiner Liste der Dinge, die mich an ihr nervten: Zum einen verabscheute ich künstliche Blumen, zum anderen vermutete ich, dass sie
Ulysses
nie gelesen hatte und mit dem Buch nur Eindruck schinden wollte. Fragend blickte sie mein Leben an.
    »Hallo«, sagte sie auf eine Art, die bedeutete:
Wer sind Sie denn?
    »Ms Larson, mein Name ist …« Er schaute mich an, und ich sah, wie seine Lippen zuckten, weil er sein Lächeln kaum unterdrücken konnte. »… Cosmo Brown. Ich habe hier einige Papiere, denen Sie entnehmen können, dass ich berechtigt bin, Lucy Silchester ständig zu begleiten. Unter anderem liegt auch ein von mir und einem Notar unterzeichnetes Vertraulichkeitsabkommen bei. Sie können sich darauf verlassen, dass nichts von dem, was ich im Laufe des Gesprächs über die Firma erfahre, jemals diese vier Wände verlassen wird, dass ich jedoch bei allem, was Lucys Privatleben angeht, jederzeit mitreden kann.«
    Edna

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