Ein Moment fürs Leben. Roman
dem Haarspray und dem Selbstbräuner und all den anderen Utensilien, mit denen man zu erreichen versuchte, dass man sich wie ein anderer Mensch fühlte.
Die Bowlingkugel starrte mein Leben so voller Abscheu an, als hätte er einen schlechten Geschmack im Mund. Wieder einmal griff mein Leben in die Innentasche seiner Jacke und zog das Papier heraus, das ihm bisher zu allen Bereichen meines Lebens Zugang verschafft hatte.
»Lass stecken«, sagte ich und hob die Hand.
»Warum?«
»Das passt hier nicht.« Ich sah den Türsteher an. »Könnten Sie bitte Melanie Sahakyan holen?«
»Wen?«
» DJ Dark. Wir sind ihre Gäste.«
»Wie heißen Sie denn?«
»Lucy Silchester.«
»Und er?«
»Cosmo Brown«, verkündete mein Leben lauthals, und ich brauchte ihn nicht anzuschauen, um zu wissen, dass er die Situation unglaublich amüsant fand.
»Sein Name ist nicht auf der Liste. Aber bei mir müsste ›in Begleitung‹ stehen.«
»Hier steht aber nichts von Begleitung«, sagte der Türsteher in einem Ton, als enthielte allein sein Klemmbrett die Lösung für alle Geheimnisse der Welt. Der Mann musterte mein Leben. Mein Leben kümmerte das nicht besonders, er hatte sich gemütlich an das glänzendschwarze Geländer gelehnt, an dem früher einmal ärmliche Kinder mit schmutzigen Gesichtern herumgeturnt waren, und schien die Szene zu genießen.
»Das muss ein Missverständnis sein. Könnten Sie bitte Melanie herholen?«
»Dann muss ich aber die Tür zumachen. Sie können meinetwegen hier drin warten, aber er muss draußen bleiben.«
Ich seufzte. »Ich warte lieber auch hier draußen.«
Mit meinem Äußeren durfte ich in den Club, mit meinem Leben nicht. Grausame Welt. Gruppen junger Leute zogen an uns vorbei, ich hörte Bruchstücke ihrer Unterhaltung und fragte mich, ob der Club wohl ganz leer bleiben würde, wenn alle auf diese Art beurteilt würden. Das wäre dann wirklich ein Zeichen der Zeit. Fünf Minuten später flog die Tür auf, und Melanie stand vor uns, in ihrem schwarzen Flatterkleid, die sonnenbraunen Arme bis zu den Ellbogen mit Armreifen geschmückt, die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, die Wangenknochen dunkel und glänzend, als wäre sie eine ägyptische Prinzessin.
»Lucy!«, rief sie und breitete die Arme aus. Ich drehte mich so, dass sie, als wir uns umarmten, zur Seite und nicht über meine Schulter hinweg auf mein Leben schaute. »Wen hast du denn mitgebracht?« Ich drängte mich an ihr vorbei zum Eingang und zeigte ihr mein Leben. Er folgte mir, Melanie musterte ihn kurz, so rasch, dass nur ich merkte, wie ihre dichten Wimpern sich bewegten. Meinem Leben fiel nichts auf, er war ganz damit beschäftigt, sein zerknittertes Jackett an der Garderobe – die aus einer Reihe muskulöser goldener Arme bestand, die aus der Wand ragten – abzugeben. Die Garderobenfrau hängte das Jackett über den Mittelfinger eines der Arme. Was für ein Statement. Mein Leben rollte die Ärmel bis zu den Ellbogen auf – er sah inzwischen zwar wesentlich besser aus, aber an die goldenen Muskelpakte reichte sein Bizeps natürlich nicht heran.
»Da hast du mir ja was verheimlicht, Süße«, sagte Melanie zu mir.
»Es ist nicht so, wie du denkst, ganz und gar nicht«, entgegnete ich und schauderte unwillkürlich.
»Oh«, sagte sie deutlich enttäuscht. »Hallo, ich bin Melanie«, wandte sie sich dann an mein Leben und streckte ihm den bereiften Arm entgegen.
Mein Leben erwiderte ihren Gruß mit einem Megawatt-Lächeln. »Hi, Melanie, freut mich, dich endlich persönlich kennenzulernen, nachdem ich schon so viel von dir gehört habe. Ich bin Cosmo Brown.«
»Cooler Name«, lachte sie. »Ist das nicht …?«
»Ja, der Typ aus dem Film. Er war noch nie hier und ist schon total gespannt, also los, führ uns ein bisschen herum!« Ich tat so, als wäre ich ganz aufgeregt und steckte Melanie damit an, und so zogen wir eilig los. Überall, wo wir auftauchten, blieben die Männer stehen und starrten Melanie an – Pech, denn bei ihr waren sie an der falschen Adresse. Für mich war das ein Segen gewesen, denn seit Melanie sich mit sechzehn als lesbisch geoutet hatte und die Männer merkten, dass sie nicht nur kein Interesse hatte, sondern auch nicht offen für Verhandlungen war, wandten sie sich an mich, und mir war das nur recht, weil ich als Teenager noch weniger Stolz besaß als heute.
Die Räume, die wir bisher gesehen hatten, waren nach dem Thema der vier Elemente gestaltet. Nun standen wir vor einer Tür
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