Ein Moment fürs Leben. Roman
Spüle – der Löffel. Und ein langer Seufzer – mein Leben.
»Graham, ich kann Ihnen versichern, dass Lucy Sie gerne mögen würde und dass sie gelegentlich Spuren von einem netten Kerl in Ihnen entdeckt, aber tief drinnen, tief, tief in ihrem Innern findet sie, dass Sie ein absolutes Arschloch sind.«
Ich grinste, schob die Schublade wieder zu und kehrte eilig an meinen Schreibtisch zurück. Zwar war mir mein Leben heute Morgen in den Rücken gefallen, aber heute Nachmittag hatte er eindeutig Stellung für mich bezogen. Das Büro – und insbesondere Graham – wurde noch stiller, und ich wurde nicht gefeuert.
Als ich abends im Bett lag, wusste ich, dass mein Leben noch wach war, weil er nicht schnarchte. Ich ließ mir noch einmal alles durch den Kopf gehen, was an diesem Tag geschehen und was zwischen mir, meinem Leben und allen anderen Beteiligten gesprochen worden war. Endlich kam ich zu einem Schluss.
»Du hast das alles geplant, stimmt’s?«, fragte ich in die leere Dunkelheit hinein.
»Was hab ich geplant?«
»Du bist absichtlich reingegangen und hast Edna die Wahrheit auf eine Art und Weise gesagt, die mich auf die Idee bringen sollte, die Wahrheit lieber selbst zu sagen.«
»Ich glaube, du analysierst alles ein bisschen zu viel, Lucy.«
»Aber hab ich recht?«
Schweigen.
Dann: »Ja.«
»Was hast du sonst noch vor?«
Er antwortete nicht. Aber das machte auch keinen Unterschied.
Kapitel 14
Ich bereute es, dass ich mich für den folgenden Abend mit Melanie verabredet hatte. Nicht nur, weil mein Leben mich mit seinem Schnarchen die ganze Nacht wach gehalten hatte, sondern weil der Abend mit Melanie wie eine Kanonenkugel war, der ich schon die ganze Zeit auszuweichen versuchte. Um wettzumachen, dass ich letzte Woche vorzeitig aus dem Restaurant verschwunden war, hatte ich ihr versprochen, zu ihrem nächsten Auftritt in Dublin zu kommen. Und der war am Freitag im – zumindest für diesen Monat – coolsten Club der Stadt angesetzt. Der Club war so cool, dass er nicht mal einen Namen hatte, so dass alle ihn den »Club ohne Namen in der Henrietta Street« nannten, was an sich schon wieder absurd war. Es war ein Privatclub, zumindest war er mit dieser Absicht renoviert und vermarktet worden. Aber wegen der horrenden Eintrittspreise – vermutlich sollte so der Energieverbrauch der Hunderte Heizpilze bezahlt werden, die den Gästen vorgaukelten, dass sie sich nicht in Dublin, sondern in West Hollywood aufhielten – und der angespannten wirtschaftlichen Lage wurde so gut wie jeder eingelassen. Am Wochenende jeder, den die Türsteher schön und glamourös genug fanden, und unter der Woche einfach nur jeder, der reinwollte, denn die Angestellten mussten ja irgendwie bezahlt werden. Heute war Freitag, was bedeutete, dass sie nach schön und glamourös Ausschau hielten, was wiederum bedeutete, dass mein Leben keine besonders guten Karten hatte. Allerdings hatte ich läuten hören, dass der Club nicht mehr ganz so voll war wie früher – hundert Besucher weniger an einem Freitag –, was in der Gerüchteküche als Zeichen der Zeit ausgelegt wurde. Ich fand das ziemlich unsinnig, weil es eher ein Zeichen der Zeit war, wenn ein Club ohne Namen in einer Gegend eröffnete, die früher einer der schlimmsten Slums Europas gewesen war. In den georgianischen Häusern, die von den Reichen verlassen worden waren, weil sie das Leben in den Vororten angenehmer fanden, hatten teilweise bis zu hundert Menschen gewohnt, fünfzehn Personen zusammengepfercht in einem Zimmer, heimgesucht von allen möglichen Krankheiten, mit einer Gemeinschaftstoilette auf dem Hinterhof, wo außerdem noch Nutztiere gehalten wurden.
Ich drückte auf den Klingelknopf neben der großen roten Tür und erwartete halb, dass ein Teil davon aufging und ein Zwerg herauskam. Das passierte aber nicht – die ganze Tür wurde von einem kahlköpfigen, schwarzgekleideten Mann geöffnet, der mich an eine Bowlingkugel erinnerte. Er empfing die Leute, als wäre er der Märchenprinz und könnte sich unter den weiblichen Gästen eine als Traumprinzessin aussuchen, bevor ihr böser Vater sie mit einem Ungeheuer verheiratete. Mit meinem Äußeren schien der Türsteher ganz zufrieden zu sein, aber mein Leben gefiel ihm leider gar nicht. Man hätte die Natur der Clubszene kaum besser auf den Punkt bringen können – man sollte auf gar keinen Fall das eigene Leben mitbringen, das musste brav zu Hause bleiben, irgendwo im Badezimmerchaos zwischen
Weitere Kostenlose Bücher